23.01.2024

Briefe



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ID: 25899
Geschrieben am: Montag 17.10.1887
 

Frankfurt a/m. 17/10 87.
Liebste Emilie!
Recht lange schon lag es mir am Herzen, Dir einige Worte zu senden aber, es war ja entsetzlich, was in dieser Zeit alles an mich kam. Was mich vor allem veranlaßt zu diesem Briefe ist mein Herzensbedürfnis; ich muß Dir sagen, wie Deine Theilnahme kürzlich in München mir so wohl gethan hat! Da fühlte ich recht was eine alte, treue Freundin ist, und vermisse solche Ansprache hier mehr denn je. Laß Dir die Hand |2| drücken, Du Gute, Liebe.
Von unserem Leben läßt sich trauriges, aber auch gutes sagen; in Baden hatten wir noch einige wunderschöne Tage, wo wir die Natur in vollen Zügen genießen konnten, und durch Brahms, Joachim u. Hausmann gab es auch musikalische Freuden. Das neue Werk von Brahms ist wunderschön u wird im nächsten Monat hier im Museum aufgeführt, wozu er selbst hierherkommt.
Vom Ferdinand läßt sich leider nichts gutes sagen; er bekam, wahrscheinlich in Folge der Entziehung des Morphiums an die fünfzig Abcesse, die alle geschnitten werden, u dabei wieder das Morphium in Anwendung gebracht werden mußte. Jetzt ist diese Calamität beseitigt u. nun geht es wieder an das Entwöhnen des Morphiums, zudem |3| liegt er fest zu Bette, schreibt aber dennoch, er wolle so bald als möglich nach dem Süden, was ich aber natürlich nicht eher zugebe als bis er das Morphium ganz los ist und wieder gehen kann. Mein Arzt hier giebt mir sehr recht, daß der Süden im Winter nur für solche Kranke gut ist, die sich bewegen können. Sein Hausarzt in Berlin hat sich durchaus gegen München erklärt u. sagt, weil er es für einen Gelenkrheumathischen zu rauh findet. Wozu haben wir nun alle die Aufregung dort durchgemacht, u. Du, beste Mila, mit! Das sind die Nachtheile des zu schnellen Handelns, und doch war Ferdinand selbst Schuld durch seinen verzweifelten Brief.
Ich denke, wills Gott, daß er bis Weihnachten vom Morphium erlöst ist, er vielleicht zu Elise kommt, wo er besser gepflegt wer-|4|den kann als irgendwo. Von diesem Plane weiß er aber noch nichts; man muß so furchtbar vorsichtig und bestimmt ihm gegenüber sein, wobei man immer in Conflict mit dem Herzen kommt. Hier bei unserer Rückkehr erwartete uns Elisens Nachricht, daß sie wegen hier herrschender Dyphteritis u. Scharlach nicht den Muth hätten mit den Kindern hierher zurückzukehren. Nun sind sie nach Baden Baden gegangen u. warten bis der Gesundheitszustand hier besser ist. Ich finde nun das ist gar kein Leben mehr wenn man jeden Augenblick in der entsetzlichen Furcht lebt, daß einem Kinde etwas zustoßen könnte. Epidemisch sind diese Krankheiten ja nicht hier, u. einzelne Fälle giebt es wohl im ganzen Jahr.
Ich habe nun wieder angefangen zu spielen, leide nur seit meiner Rückkehr hierher an oft heftigen Kreuz- und Hüftenschmerzen, die sich na-|5| türlich durch das Spielen u. auch Schreiben verschlimmern, was mich für den Winter doch recht besorgt macht.
Ich soll hier am 28. in der Kammermusik und am 6. Nov. in Basel spielen – noch weiß ich nicht, ob ich es werde können.
Nun, meine liebe Emilie, weißt Du alles von uns (nur Eugeniens recht gutes Aussehen vergaß ich Dir zu melden) u. so will ich denn schließen; grüße alle die Deinigen herzlich auch von meinen Töchtern, und sei Du umarmt in alter Treue
von Deiner
Clara.
umwenden!
|6| Ich vergaß noch, Dir zu sagen, daß ich neulich Fräulein Klein kennen gelernt; wir baten sie zu Tisch, sie konnte aber nicht kommen. Sie hat ein angenehmes, feines Wesen, leider aber höre ich von Musikern, daß sie für die Bühne nicht besonders begabt sei. Das ist doch ein Unglück, denn entweder giebt sie die Sache auf oder bleibt dabei u. erreicht nichts, hat also auf jede Art Täuschungen zu erfahren. – Ich will sie nächstens einmal in einer Rolle sehen, entschließe mich nur so schwer, weil mich das Sitzen so lange auf einem Flecke jetzt besonders angreift u. unsere Oper für solches Opfer doch gar zu mittelmäßig ist.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
738-741

  Standort/Quelle:*) Privatbesitz
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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