Hochverehrte Frau Schumann,
zürnen Sie mir nicht, daß ich heute erst für Ihre teuren Worte tiefster Teilnahme an unserem Weh danke. Ich war in den ersten Wochen, Monaten nicht im Stande einen Brief zu schreiben außer den geschäftlichen, die ja unerbittlich an Einen herantreten. Sie kennen gewiß auch die Empfindung, verehrte Frau, da jedes Wort zu viel u. zu wenig sagt, da ja keines das auszudrücken vermag, was wir fühlen. Und dennoch drängt das Herz, denen zu danken, die mit uns trauern, die den Entschlafenen verstanden, geliebt u. verehrt haben. Und so ist es mir ein tiefes Bedürfnis, Ihnen zu sagen, wie wertvoll u. erhaben uns gerade Ihre Worte waren, weil mein Mann Sie so auf’s innigste verehrt, Ihre künstlerische Richtung u. Urteil so hoch gestellt hat, daß ich uns immer sagen mußte, wie ihn Ihre Worte über sein Wirken beglückt haben würden. So selten er ja auch mit Ihnen in Berührung gekommen ist, so fühlte er sich doch Ihnen innerlich so nah verbunden in der Gemeinschaft Ihres keuschen Priestertums der Kunst, für deren Reinerhaltung auch er sein Leben eingesetzt hat, von deren hohen Zielen ihn keine Enttäuschung, kein Leid hatte abbringen können. Und wie viel wollte er noch dafür wirken, wie waren Kopf u. Herz erfüllt von neuem, herrlichem Planen – da wurde er – mitten in der Arbeit – abgerufen, – u. nun heißts alleine seinen Weg weiter gehen ohne ihn, mit dem ich das Höchste u. Kleinste hatte teilen dürfen. – Die Kinder, die ihren nächsten Freund in dem heiß geliebten Vater verloren haben, müssen mir die Kraft dazu geben, so halten u. stützen wir uns gegenseitig. Lassen Sie mich Ihnen noch ein Mal die Hand drücken für Ihr treues Gedenken, verehrte Frau u. seien Sie mit Ihren Frln. Töchtern auf’s innigste gegrüßt von Ihrer ergebenen
Marie Devrient
Jena d. 20sten Jan. 95.
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