23.01.2024

Briefe



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ID: 18312
Geschrieben am: Freitag 01.02.1895
 

Wien den 1. Februar. 1895.
Liebe, hochverehrte Frau Schumann!
Dem Zeitungsblatt1 möchte ich doch ein paar Worte mitgeben, die aber selbstverständlich niemals einer Beantwortung bedürfen. Sie haben Recht: es gibt nur noch Einen: – Brahms, – der Einem mit seinen herrlichen Gaben so recht das Herz erfreuen kann! Für die Andern, u. in erster Linie uns giebt es aber neben diesem Einen auch „Eine“ – u. wenn die liebsten Schriftzüge dieser Einen auf einem Briefkouvert stehen, dann lacht Einem das ganze Herz vor lauter Freude u. Wonne; u. mein l. Mann brachte mir strahlend diesen lieben, lieben Brief,2 während ich heftige neuralgische Schmerzen hatte, u. sagte: warte, jetzt wird’s gleich besser gehen, wenn ich dir dies |2| zeige, u. dabei drehte er das Couvert gegen mich! Haben Sie so tausendmal herzlichen Dank für diesen lieben Brief, auch von m. l. Mann! Es zieht uns mit dem ganzen Herzen zu Ihnen, u. wir fangen nun thatsächlich an zu studiren, wie u. wo es möglich wäre, daß wir Sie, theuerste Frau, vielleicht im Anfang des Sommers treffen könnten. Wann reisen Sie nach der Schweiz? oder geht’s vielleicht zuerst nach Franzensbad? da könnten wir vielleicht auch für ein paar Tage hinkommen.3 Bitte jedenfalls um ein Wort, sobald Sie Ihre Abreise beschlossen haben, mir Ort u. Datum anzugeben, damit wir uns irgend etwas überlegen können. Vielleicht gelingt’s. Und nun zum l. Brief. Erst in den letzten Tagen haben wir uns wieder lange u. eingehend den „Klinger“4 besehen, u. haben uns wieder gestanden, daß uns noch viel fehlt, bis wir das rechte Verständniß dafür bekommen. Einzelnes finden wir ganz enorm packend u. geradezu erschütternd, wie z. B. das erste Bild, – |3| – diese Phantasie hat etwas dämonisches, das mich in den meisten Bildern fast ängstigt – zu einer reinen Freude kann ich bis jetzt nicht kommen. Bei dem ländlichen Fest sind herrliche Figuren, aber <die> in allen andern Bildern überwiegt mir das Erschütternde bis jetzt das Schöne. Doch finde ich, daß man lernt, je öfter man sich in das Werk versenkt, es hat schon manches, das uns bis jetzt fast ungeheuerlich erschienen, angefangen, uns wirklich schön zu erscheinen, u. so hoffe ich immer, mit der Zeit mehr u. mehr Klinger verstehen zu lernen. Daß aber jetzt mir das Ansehen der Brahms-Fantasien einen reinen Genuß bereitete, das kann ich unmöglich sagen, aber ich habe trotzdem bei jedem Bild das Gefühl des Großen, das Gefühl, daß nur ein wahrer Künstler solches schaffen kann, u. zwar nur ein bedeutender Künstler! O, Feuerbach!5 der ist mir freilich von A bis Z verständ-|4|licher u. anmuthender! ebenso Böklin6 – aber ich bin auch fest überzeugt, daß wenn wir mal mehr von Klinger zu sehen bekommen, daß wir ihn kennen, wie wir jetzt Feuerbach kennen, daß er in diesem Bunde sicher der Dritte sein wird auch für uns (denn er ist es sicher schon!) Sehen Sie nur die Bilder zu „Es kehrt die dunkle Schwalbe“ – ein wahres Versenken u. Versinken in die Brahms-Musik! Könnte ich mich nur besser ausdrücken! Mit einem Wort: mir graut noch zu viel, es kommt mir vor, als ob manches so schön, aber krankhaft überreizt wäre, ich kann keine reine Freude empfinden! Doch genug, – wie darf ich überhaupt über solch’ ein Werk ein Wort reden! Aber von einem andern, unbeschreiblich herrlichen Genuß muß ich Ihnen erzählen: Brahms hat uns mit Mühlfeld seine neuen Sonaten7 bei uns vorgespielt, weil ich ja in kein Conzert sollte. Das war wunder, wunderschön! Ja, was das wieder für herrliche Stücke sind. Solch’ eine Musik! u. wie zu Gehör gebracht! |5| Liebe Frau Schumann, das waren wahre Weihestunden, in denen man Alles vergißt, was einen bedrückt! Und nun will ich Ihnen gleich ein großes Unrecht gestehen, das ich begangen: Am 10. spielte Brahms bei uns die Sonaten, am 11. sollten sie im Conzert8 d. h. eine, nebst dem Clarinette-Quintett u. einem herrlichen Beethoven-Quartett gemacht werden. Wir waren so hingerissen, u. die Musik ließ mich gar nicht los, – u. mein l. Mann, obgleich sehr ängstlich für mich, redete mir so liebevoll zu, daß ich am 11. Abends durch unsern Robert noch rasch ein Billet für mich erwerben ließ (die Andern waren Alle längst versehen –) u. wir fuhren Alle in’s Conzert, u. ich hörte mein liebes, liebes Quintett, die Sonate in F moll u. den herrlichen Beethoven, – – Rheumatismus – Alles, Alles war vergessen! Aber die Thränen u. die Seufzer, die kamen hinten nach! Nicht nur, daß mich mein Gewissen plagte Brahms gegenüber, der mir so lieb die Sonaten zu hause |6| gespielt hat – aber leichtsinnig bin ich halt doch gewesen. Ich hoffe sicher, daß Brahms mir verziehen hat – er war selbst Schuld, ich konnte es einfach nicht mehr aushalten, mußte in’s Conzert! Dann aber kam’s richtig. <e>Es hat öfter stark gezogen im Saal. Nun hab’ ich seit gerade 3 Wochen eine böse, böse Neuralgie im Gesicht, die mich Tag u. Nacht quält, u. bei welcher alle Mittel bis jetzt versagt haben. Es fing mit Katarrh u. Fieber an, der Arzt9 sagte, es sei Influenza, da sich innerlich Alles entzündete, u. gleichzeitig die Neuralgie auftrat. Noch kommen die Anfälle öfter im Tag, u. mit tödtlicher Sicherheit bei Nacht – hoffentlich läßt’s mich nun bald los. Dafür hab’ ich aber meine Sonate u. mein Quintett gehört, das andere geschieht mir Recht! Unterdessen war m. l. Mann in Konstantinopel,10 u. hat sich nach seiner Heimkehr auch tüchtig erkältet, ist aber seit heute wieder ausgegangen, wovon bei mir so bald noch keine Rede sein kann, die Schmerzen, u. all’ die starken Mittel dagegen bringen einen ganz herunter. Nun aber genug! Verzeihen Sie das „Aktenstück“ u. haben Sie theuerste Frau nochmals innigen, warmen ◊1Dank u. die innigsten Grüße auch von meinem l. Mann, u. ◊2Ihrer dankbarst ergebenen Maria Fellinger.
◊3P. S. Frau Shakespeare schrieb mir, daß sie Mitte Februar ihre Tocht. wieder zu Ihnen nach Frankfurt bringen, u. dann auch für ein ◊4paar Tage nach Wien kommen wolle!11 –
◊5Hanslik12 wollte uns längst mal zu Hänsel u. Gretel13 in seine Loge mitnehmen, vorläufig wird aber nichts draus werden. Hanslik ist so frisch wie je.
◊6Bitte, an Frl. Marie herzlichste Grüße!

  Absender: Fellinger, Maria (443)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
315-319

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 6,255
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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