23.01.2024

Briefe



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ID: 10003
Geschrieben am: Dienstag 19.07.1870
 

Baden d. 19 July 1870.

Fürerst Dank, lieber Stockhausen, für Ihre beiden Briefe! den Ersten erhielt ich gerade im Begriff zu einem Concerte nach Kreuznach zu gehen den Anderen fand ich hier zurückkehrend! Wie gern ginge ich jetzt von hier, denn ich bin sehr unruhig, aber, ich muß bleiben da ich mein kleines Besitzthum schützen muß, so lange ich es eben kann. Geht eben Alles drunter und drüber, nun dann flüchte ich mich auf, und sehr möglich, wir suchen dann auf, was Sie und so freundlich vorschlagen. Ich hoffe Ihre liebe Frau beunruhigt sich nicht gar zu sehr, was ihr doch gerade jetzt zum Nachtheil gereichen könnte. Ein Glück, daß Sie da in einem etwas ruhigerem Winkel sitzen. Man glaubt übrigens hier auch nicht an unmittelbare Berührung, jedoch an Einquartierung, und das ist nicht so schlimm, so lange es nicht Algierer [sic] sind, die uns berauben und morden und brennen. Ach, es ist aber ein schreckliches Unglück, und die armen Menschen, die so an dem Kriegsschauplatze wohnen, dauern Eine doch gar zu sehr. Die Theuerung ist hier schon von gestern auf heute voran gestiegen, und soll es noch viel theurer werden. Mein armer Ferdinand wurde auch einberufen, obgleich zu seinem einjährigen Militärdienst noch nicht angetreten. Wir waren sehr erschreckt, jedoch bei dem großen allgemeinen Leid tritt das Eigene mehr in den Hintergrund. Ein anderes großes Leid aber, das uns sehr niederdrückt, haben wir durch Ludwig, der nun schon seit 2 Monaten in einer Privat-Heil-Anstalt bei Dresden ist, und namenlose Qualen duldet. Der Arzt gibt uns keine Hoffnung, und schreibt nur immer man müsse den Himmel bitten den armen Jungen zu erlösen. Welch ein Schmerz das ist für ein Mutterherz, das läßt sich nicht in Worten beschreiben. Ich habe viel<schon>gekämpft mit mir die ganze Zeit her, mußte mich aufraffen für die anderen Kinder die mir ja so viele Freude machen! – Ich habe mich oft auch gewaltsam abgezogen durch fleißiges Ueben, jetzt aber, durch den unglückseligen Krieg fehlt Einem so aller Halt, man kann nichts Ordentliches thun. Ich freue mich sehr, daß Sie nun endlich doch auch mit England zufrieden zu sein Ursache hatten, und nächsten Winter wir die Aussicht haben dort zusammen zu musicieren, d. h. <im> öfter in einem und demselben Concerte. Warum Sie mich aber vermißt, verstehe ich nicht? meinen Sie als dankbarste Zuhörerin, so will ich wohl zugeben, daß es keine Dankbarere giebt, aber sonst hätte ich Ihnen ja in nichts künstlerisch angenehm sein können – gute Begleitung hatten Sie ja! – Auf Ihre Concertvorschläge für Stuttgart ect: gehe ich gern ein, wenn ich nicht schon im October (d. h. zum 23ten) nach Wien zum Beethoven-Fest gehe. Jetzt freilich hört alles Pläne machen auf – wer weiß, wie es um die Kunst in 3 Monaten in Deutschland steht! – Brahms erwarte ich in wenig Tagen hier, wenn nicht der Krieg ihn nach Wien zurücktreibt. Er war in Oberammergau zum Passionsspiel. Lassen Sie mich bald wieder von sich hören und nehmen sie im Voraus meine herzlichen Glückwünsche zum 22ten und Ihre liebe Frau die besten Wünsche daß ihr eine möglichst leichte Stunde vergönnt sein möge. –
Wie immer Ihre getreu ergeb
Clara Schumann

Die Kinder erwidern dankend Ihre Grüße. Elise ist seit 3 Tagen bei Julchen, die sehr glücklich ist.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Stockhausen, Julius (1547)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
724 - 727

  Standort/Quelle:*) D-F, s: Nachl. Stockhausen 33
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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