23.01.2024

Briefe



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ID: 13113
Geschrieben am: Mittwoch 25.07.1894
 

Interlaken, den 25. Juli 1894.
Châlet Sterchi.
Lieber Johannes,
nun habe ich die schönen Lieder ja wieder und freue mich sehr daran, auch mutet mich die Ausstattung gar sehr an. Die Kreuzchen unterlasse ich, die Lieder sind mir ja fast alle lieb! Hätte ich nur eine Sängerin, die sie mir sänge. Vor allem Dank dafür, lieber Johannes.
Du kannst Dir denken, wie erstaunt ich über den Anfang Deines Briefes neulich war! Ich hatte ihn nicht vermißt, auch nicht verloren, sondern Ferdinand hatte ihn mit noch Zweien auf die Post zu bringen, ließ Deinen aus Versehen in der Paletot-Tasche stecken und verlor ihn aus diesem, als er ihn beim Spaziergang in dem Regen über den Arm hängte Du kannst Dir denken, wie er entsetzt war! Nun, nur gut, daß der Finder sich die Mühe gab, ihn im Postkasten einzuwerfen. Man sieht aber, wie man mit Briefen vorsichtig sein muß.
Kennst Du eine neue Erfindung, ein Harfen-Klavier, von Lutz in Wien erfunden? Findest Du es praktisch für kleine Orchester, wie hier z. B., statt der Harfe zu gebrauchen? Der hiesige Musikdirektor möchte sich eines kommen lassen, weil sie hier keinen Harfenisten anstellen können, möchte aber von jemandem, der das Instrument gesehen, ein Urteil haben, und mir fiel ein, ich könnte dies vielleicht durch Dich erfahren? Der Mann war mir sehr gefällig, umsomehr wäre ich es ihm auch gern. Kennst Du es nicht, könntest Du mir jemanden in Wien nennen, der mir Auskunft geben könnte? Amüsant ist Deine Karte, aber ich möchte Keine empfangen, da fände ich es immer noch weniger verletzend, wenn Du eine Anzeige in einige Blätter setztest, das trifft dann nicht den Einzelnen, denn sich selbst nimmt Jeder aus, schreibt aber doch nicht!
In den nächsten Tagen erwarten wir Frl. Wendt, die alte Getreue! – Ihr Bruder ist wohl wieder in Ischl – grüße ihn sehr von mir. Auch Ilona grüße sehr, sie soll sich nur sehr erholen, neue Kräfte sammeln.
Uns geht es soweit gut, behaglich in der Wohnung, und endlich habe ich auch mein Klavier gestimmt bekommen, aber es hat mich 35 Franks gekostet! Ein Stimmer verstimmte es, der andere machte es wenigstens brauchbar. Beide waren aus Bern.
Stockhausen wird nun endlich in 14 Tagen operiert! Möge es nur gut gehen. Ich habe großes Mitleid mit ihm gehabt, er trug sein Leid wirklich bewunderungswürdig.
Und nun sei herzlichst gegrüßt, lieber Freund! Marie und Eugenie grüßen sehr, Eugenie blickt immer sehnsüchtig nach den schönen Liedern, ich glaube, sie nähme sie gar zu gern mit nach London! – Immer wieder die alte,
Deine Clara.
Widmann hat mir mit einem sehr netten Schreiben seine neuen Novellen geschickt – das ist reizend von ihm. Ich schrieb ihm nicht, daß wir hier sind, wollte ihm keine Gene auferlegen.

[Umschlag]
Herrn
Dr Joh. Brahms.
Bad Ischl.
Oesterreich.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Interlaken
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2195ff.

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,45a
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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