23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 13813
Geschrieben am: Mittwoch 24.01.1866
 

Wien, den 24. Januar 1866.
Schottenhof, 6. Stiege, 3. Stock.
So wäre ich denn endlich ’mal wieder in dem lieben Wien, aber Du, mein lieber Johannes, bist nicht hier, und das ist mir zu denken immer ganz wehmütig, denn Wien kommt mir doch wie so ein Stückchen Heimat von Dir vor. Alles fragt mich hier, warum Du nicht kommst, ich sprach auch mit Hanslick darüber, doch der meinte auch, es sei schon etwas spät.
So kann ich denn nicht zureden, „komm“, und eigentlich schon aus dem Grunde nicht, weil Du dann am Ende den Sommer hier hängen bleibst, und dann weder die Schweiz genießest, noch wir uns in Baden.
Für Deinen lieben letzten Brief schönsten Dank. Er meldete wieder so allerlei Erfreuliches, und ich denke mir, daß Du jetzt gewiß noch hier und da mit Joachim konzertierst – er hat ja jetzt nichts vor! Ob ihr nicht in Hannover eine Soiree gebt? Hat Dir Joachim von dem Satter dort erzählt? Sollte sich wirklich der König mit dem ’mal wieder so gründlich blamiert haben?
Hier scheint es schlimm auszusehen mit den Finanzen, und dennoch werden die Konzerte besucht – möchten es die meinigen auch! Mein erstes ist am 27., Sonnabend, das zweite am 1. Februar. Nun möchte ich Dich bitten um das Horntrio, das ich bei Hellmesberger am 4. Februar spielen will, er zeigte sogleich die größte Lust dazu und sprach mir von einem außerordentlichen Hornisten (nicht Levi). Er sagte mir, es sei ihm sehr lieb, ’mal nicht alle vier Streichinstrumente zu haben, und bitte sehr darum. Also schicke es baldmöglichst (durch Spina, damit ich auf der Steuer keine Umstände habe). Ich hätte es gern bis zum 28. oder 29., denn ich muß Zeit haben, es recht schön einzustudieren.
Aus der Überschrift hast Du gesehen, wo ich wohne. Ich bin durch Zufall in dieselbe Wohnung gekommen, die ich vor 8 Jahren bewohnte, nur um einen Stock tiefer, und esse zu Mittag, wie damals bei Drahtschmieds, die unter mir wohnen. Das ist nun alles sehr gemütlich, und wenn wir so bei Tisch sitzen, so ist uns gar nicht, als lägen 8 Jahre dazwischen, sondern, als wären wir eben gestern auseinandergegangen.
Von Deinen Bekannten sah ich nur Hanslick bis jetzt, er will mir nächster Tage Nottebohm bringen, der so wundervolle Variationen à 4 m. geschrieben habe, die er aus lauter Bescheidenheit 10 Jahre lang verborgen gehalten, sie sind über ein Bachsches Thema.
Mad. Bruch war bei mir, aber Johannes, das ist ja eine entsetzliche Frau! Sie war eine halbe Stunde bei mir und sprach ohne aufzuhören, bis endlich mir ein tiefer Seufzer entfuhr, bei dem sie vor Schreck wie der Blitz vom Stuhl in die Höhe schnellte. Sie will einige Stunden haben, d. h. ich soll ihr vorspielen, ob ich mich dazu entschließe, weiß ich nicht – ich würde entschieden „Nein“ sagen, dauerte es mich nicht. Ich will einen Versuch machen, aber unter der Bedingung, daß sie die Phrasen zu Hause läßt.
Neulich schrieb Nohl von München an mich, er wolle Künstlerbriefe herausgeben und bitte mich, ihm welche vom Robert zu überlassen. Kurios, was die Leute denken, man werde ihnen sogleich das Teuerste hingeben! Natürlich schlug ich es ab, ich schrieb, was ja auch wahr, daß es mir für die Veröffentlichung der Briefe, die ich habe, noch zu früh sei, und andere besitze ich sehr wenige. Es sollte mir einfallen, dem, der Beethovens Briefe „dem Meister R. Wagner“ gewidmet, Briefe von Robert zu geben! Ich hoffe, Du und auch Joachim sind damit einverstanden.
Die arme Rettich wird kaum wieder aufstehen – ich hätte sie doch so gern besucht. Er wünscht es aber nicht, er könne mich nicht sehen. Der Mann soll ganz entsetzlich leiden mit ihr, die bei den schrecklichsten Schmerzen noch immer eine merkwürdige Geistesfrische zeigt.
Denke Dir, ich habe schon wieder einen Tribut dem Mißgeschick gezahlt – bin neulich in Braunschweig auf eine Weise gefallen, daß ich alle Glieder hätte brechen können, und zwar im Konzert vor dem ganzen Publikum. Es war nämlich an das Podium eine Leiter von 4 Sprossen gelehnt, da nämlich Podium sowohl wie der Tritt noch unvollendet, so hatte man letzteren nicht befestigt, sondern nur an das Podium zur Zierde angelehnt. Als ich nun mit Spielen fertig, wollte ich die Symphonie hören, ein Herr führt mich an den Tritt, und als ich den Fuß auf die oberste Stufe setze, stürzt die ganze Geschichte mit mir zusammen. Der Schreck war groß, und es dauerte lange, ehe ich wieder aufstehen konnte, denn ich hatte mir am Fuß sehr weh getan, und daran laboriere ich nun, kann nicht gehen, muß alles fahren, und dabei zieht mich die Sonne mit aller Macht hinaus, und ich befinde mich schlecht aus Mangel an Bewegung. Und doch wage ich kaum der Verstimmung darüber Worte zu geben, denn wahrlich, wie durch ein Wunder wurde ich wohl vor viel Schlimmerem bewahrt.
Über Deine Papiere wollte ich Dir doch auch berichten. Ich kaufte für 500 Tlr. also, bezahlte aber nur 495 Tlr. 15 Sgr. und habe Dir also (505 Tlr. hattest Du mir gegeben) 9 Tlr. 15 Sgr. beiseite gelegt, wozu ich dann später noch die Zinsen lege. Ich hätte Dir gern 6%-Papiere genommen, jedoch kann man diese nicht einlösen, wenn man will, und wußte ich nicht, ob Dir das lieb sein würde?
. . . . . . . Von Herzen verlangt es mich nach Nachricht von Dir, und vor allem, wie Du in Hamburg gelebt? Ob Du noch dort bist? Wie es Deinem Vater geht, wenn er heiratet? Wie Dir die Frau gefällt? Grüße Elise sehr, die Arme, wie mag sie Deine Anwesenheit erfreut haben! Wenn Du nur nicht allzuviel unter den unglücklichen Verhältnissen gelitten hast?
So leb denn wohl, liebster Johannes – mache, daß bald von Dir wisse
Deine
alte
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1012-1016

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.