23.01.2024

Briefe



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ID: 14096
Geschrieben am: Mittwoch 22.08.1860
 

Kreuznach, den 22. August 1860.
Endlich, lieber Johannes, erhältst Du die Harfenlieder. Verzeihe, daß es so spät, ich konnte aber nicht früher, da ich, als ich Deinen Brief erhielt, eben von Joachim überrascht worden war und, nachdem er ein paar Tage hier gewesen, mit ihm eine kleine Tour nach Heidelberg, Odenwald und Frankfurt machte. Ich brachte es nicht über’s Herz, die wunderbar poesievollen Harfenlieder von mir zu lassen, und schrieb mir das erste, zweite und vierte ab – letzteres aber erst heute, nachdem ich gestern zurückgekehrt. Könnte ich es doch so recht sagen, wie diese Lieder mich bis ins Innerste ergreifen. Freuen kannst Du Dich wahrhaft dieser Tondichtungen – mir erscheinen sie als solche im vollsten Sinne des Wortes.
Über Härtels haben wir, Joachim und ich, großen Ärger gehabt; hatte ich auch nicht gerade viel Hoffnung mit dem Konzert, so hoffte ich doch sicher, er nähme die anderen Sachen, und begreife wahrhaftig nicht, wie das zugeht, sie müssen doch gar keinen Musikverständigen um sich haben, denn der hätte sie doch müssen aufklären. Wie tut mir das leid! Nun kommt der Winter, und wieder bleibt wie vieles noch liegen! Laß mich doch ja Rieters und Simrocks Antwort wissen.
Die Geschichte mit Detmold überraschte mich nicht, da ich es ja eigentlich schon wußte. Nun, wer weiß, wozu es vielleicht gut! –
Du wirst nun wohl wieder fleißig sein mit Deinem Chor? Vielleicht auch Männer dazu nehmen? Das ist auf die Länge doch interessanter für Dich. Bist Du denn auch recht fleißig nun? Mit Joachim verlebte ich recht schöne Tage; hier musizierten wir viel – endlich hatte er die Geige mit, und namentlich war ich wieder entzückt über sein Konzert. Unsere Reise war höchst gemütlich! In Heidelberg trafen wir es unverhofft glücklich mit dem Wetter und fanden an Dr. Becker einen angenehmen Begleiter. Am zweiten Tage machten wir eine Fußtour nach dem Odenwald, die nach einem 5stündigen Marsche mit einem reizenden Leiterwagen endigte. Der war so hübsch eingerichtet mit ’nem Korb und schönen weichen Sitzen, daß wir alle lieber drin geblieben wären.
Wir wohnten in Heidelberg im Waldhorn – Becker bewohnt dieselben Zimmer, die wir gehabt. Die Wirtsleute freuten sich sehr, mich zu sehen.
Wie lange ich noch hier bleibe, weiß ich noch immer nicht, vorderhand lockt das Wetter noch nicht hinaus. Vielleicht besuche ich Frau Schroedter auf zwei Tage im Murgtal, die mich heute recht dringend einladet, jedoch kehre ich wieder hierher zurück, bitte Dich also, mir recht bald hierher zu schreiben. Hier hält mich das Klavier, meine Noten, kurz, ich bleibe doch mindestens die nächsten 8 Tage.
Frl. Wagner und Eltern grüße doch sehr – ich werde nächstens antworten.
Ich hoffe, ich höre bald, wie Du lebst, ob Du recht vergnügt bist, was der Frauenchor macht, und was Du schaffst.
Grüße alle die Deinen herzlich.
Die Blümchen aus dem Odenwald seien Dir ein liebevoller Gruß
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Kreuznach
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
712-715

  Standort/Quelle:*) unbekannt, vgl. Druck
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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