23.01.2024

Briefe



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ID: 14133
Geschrieben am: Donnerstag 23.06.1864
 

Baden-Baden, den 23. Juni 1864.
Nun bist Du ja endlich ’mal wieder in Hamburg, lieber Johannes! Wie freut mich das für die Deinigen! Wiewohl ich recht gut Deine gemischten Empfindungen verstehe, es mag Dir zumute sein, als seiest Du ein Fremdling in Hamburg, und doch ist es die Stadt, die Du immer so sehr geliebt. Recht wehmütig kann einen das machen, und doch war es allezeit so, daß bedeutende Menschen sich in der Fremde eine Heimat schaffen mußten; Du hast Dir Wien erkoren, und das freut mich wieder; ich denke, mit Noten und Büchern wirst Du Dich bald ganz heimisch dort fühlen. Erschrocken war ich aber, daß Du nun doch die Stellung aufgegeben! Denn wo wäre am Ende die Stellung, die nicht ihre großen Schattenseiten hätte?
Was magst Du wohl getan haben? Wohnst Du bei den Eltern? Oder in Hamm? Ich hörte neulich, Frau Dr. Rösing hoffe so sehr auf Deinen Besuch. Wäre es Dir dort nicht wieder gemütlich?
Ich fange jetzt erst an, etwas heimisch hier zu werden! Es ist mir im Anfange, nach so bewegtem, immer tätigem Leben nach außen, recht schwer, mich in die Ruhe zu finden, sie erzeugt meist eine um so größere innere Erregung, wie es dann wohl natürlich ist, daß ich zu Hause den Verlust meines Lebensglückes mehr empfinde als irgendwo! Aber herrlich ist es hier, und mein Häuschen erscheint mir so behaglich, bietet mir so vollkommen, was ich mir an äußerem Komfort wünschen kann, daß ich mit keiner der schönsten Villen hier tauschte. Seit 14 Tagen bin ich erst hier, so manches kam schon wieder zu angenehmer Abwechslung. Rubinstein ist schon lange hier, Kirchner besuchte mich einige Tage, und plötzlich überraschte uns Stockhausen mit seiner Frau und blieben 4 Tage hier.
Niemals sah ich ihn so angenehm, so glücklich, er hat aber auch ein liebes Weib – wir haben sie von Stunde zu Stunde lieber gehabt; sie ist so natürlich heiter, und doch wieder ernst auf alles eingehend, fein, gebildet, kurz, er hat einen Schatz gefunden, den er ja wahren soll; er scheint von diesem Gefühl aber auch ganz durchdrungen.
Schicke mir doch Dein Duo, lieber Johannes – ich werde es studieren, damit ich es kann, wenn Du kommst. Ich habe zwar nicht zwei Flügel nebeneinander stehen, erhalte aber dieser Tage ein neues Pianino von Scheel in Cassel, was ich mir eigentlich zum Spielen für 2 Klaviere angeschafft, da ich zu 2 Flügeln in meinem Zimmer keinen Platz habe. So ist mir denn Dein Duo doppelt willkommen, weil ich es nun doch auch gleich mit Rubinstein probieren kann, aber, bitte, laß mich nicht lange darauf warten – Du spielst es doch wohl in Hamburg mit niemand! –
Meine Reise nach St. Moritz (7 000 Fuß hoch gelegen) soll so etwa am 20. Juli vor sich gehen, und denke ich bis Ende August zurückzukehren. Ich gehe jetzt schwer von hier fort, aber ich glaube, die hohe Gebirgsluft wird mir gut tun – hier ist es so mild, was ich oft erschlaffend empfinde, schade, daß die Luft nicht etwas rauher, ich brauchte dann nie wegzureisen.
Willst Du so gut sein, Friedchen zu sagen, daß ich ihren Brief erhalten, und daß ich aber Ende Juli, die Zeit, wo sie zu uns kommen will, nicht hier bin, und möglicherweise auch Marie nicht, da ich sie vielleicht mit Julie zusammen mitnehme. Ich weiß nicht, wie lange Friedchen in der Schweiz bleibt – mich findet sie erst sicher Anfang September.
Ich habe noch einige Bücher von Dir (dann wünschtest Du die französische Ausgabe der Alceste – ich notierte schon damals, als Du es mir sagtest, Deinen Namen hinein, Du weißt, ich hatte zwei gleiche Ausgaben, ich hoffe, sie erfreut Dich). Die Messe lege ich bei, wenn ich Dir das Requiem schicke – oder Du holst es Dir. Ich habe letzteres noch nicht gesehen, erwarte es in nächster Zeit.
Nun laß bald hören von Deinem Beginnen – wie Du Deine Goldschätze durchzubringen denkst? Sie sind wirklich überraschend! In welcher Zeit denkst Du nach Baden zu kommen?
So leb denn wohl, lieber Johannes – grüße die Deinigen schönstens, und sei Du es herzlichst von
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
913-916

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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