23.01.2024

Briefe



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ID: 14135
Geschrieben am: Samstag 15.10.1864
 

Baden-Baden, den 15. Oktober 1864.
Mein lieber Johannes,
eine herzinnige Freude habe ich gestern abend an Deinem lieben Briefe gehabt – ich brauche es Dir wohl kaum zu sagen, wie auch ich so froh, daß ich Dich wieder in das alte treue Herz schließen konnte, und ich denke, Du sollst allezeit darin bleiben. So manches möchte ich Dir sagen, wie mir meine neue Heimat jetzt so viel lieber noch geworden, doch ich denke, Du hast es all’ herausgefühlt.
Dein dichterisches Genie entwickelt sich ja zu hinreißendem Schwunge – wir haben uns köstlich amüsiert über die schönen Verse, wo so fein jedem sein Teilchen gegeben.
Wie angenehm, daß Du so mildes Reisewetter gehabt, doch hätte ich gern gehabt, Du hättest die Decke ’mal einen Augenblick gebraucht, denn nun nimmst Du Dein Lebtag nichts dergleichen wieder an und frierst Dich lieber halb tot! – Hier regnete es fortwährend, so daß wir noch keinen ordentlichen Spaziergang wieder machen konnten. Und bei uns innen war auch nicht eben Sonnenschein, mit meinen Konzert-Arrangements gab’s allerlei Querstriche, endlose Schreibereien, täglich 8–10 Briefe, so daß ich erst gestern ’mal wieder ans Üben kam, dann regte uns Elise recht auf durch den plötzlichen Entschluß, sie wolle sich die Sache mit der Prinzeß doch noch überlegen; die Prinzeß bewilligte ihr wirklich noch eine Frist (was ich sehr lieb fand), und diese benutzte Elise, zu ihrer Freundin nach Kreuznach zu gehen und diese noch um Rat zu fragen; dies verdroß nun aber die Prinzeß etwas, sie meinte, der mütterliche Rat sei doch wohl genug, und überhaupt sei ihr Anerbieten doch nicht derart, daß man nötig habe, es so von allen Seiten zu beleuchten etc.!!! Nun kurz und gut, indem ich dies schrieb, kommt Elisens Entschluß für die Prinzeß, und so habe ich die Freude, sie nächsten Sommer noch ’mal bei mir zu haben. –
Ich sagte neulich der Prinzeß, daß Du ihr die Sonate dedizieren wolltest, worüber sie eine wahrhaft kindliche Freude äußerte. Ich erhielt gleich nach ihrem Besuche beifolgendes Billett, das ich Dir doch schicken möchte. Als sie gestern kam, frug sie mich, ob ich wohl glaubte, daß sie das erste Exemplar der Sonate bekommen würde, ich bejahte es als ganz natürlich.
Aber mit den Liedern, wie leid tut mir das; ich erhielt sie gestern mit einigen steifen Zeilen, aus denen ich nicht ahnen konnte, warum sie sie zurückschicken? Sie werden Dir geschrieben haben – ist ihnen der Preis zu hoch? Was tust Du jetzt damit? Ich sende sie heute ab, da Du sie gleich wünschest.
Levi sah ich noch nicht, er schrieb mir aber sehr nett, unter anderem etwas, das ich Dir hier hinsetze, weil es mich gefreut, daß er es so offen ausspricht. Er sagt nach vielem anderen über Dich: „seit ich mir über die Tragweite des eignen Talentes so klar geworden bin, daß ich das Komponieren auf immer verschworen habe, ist es mir leichter, auf andere Naturen einzugehen etc.“
Es ist das Bekenntnis einer Schwäche, die doch so tief in der Natur des Menschen begründet. An ihm hast Du Dir einen warmen Freund erworben.
Nun denke Dir aber, des kleinen Joachims Pate wird wirklich – der König! Er hat es angeboten. Muß nun wohl der Junge Georg heißen? Mir ein schrecklicher Gedanke. Nun schreibt Joachim, der König ignoriere seine Kündigung gänzlich und zeige sich doppelt liebenswürdig, er wolle aber die Sache vor der Taufe ins klare gebracht sehen, wie kann es denn aber jetzt anders werden, als daß Joachim doch bleibt? Dein Wiegenlied hat ihn sehr erfreut, seiner Frau Stimme habe ihren vollen schönen Klang wieder. Von Rieter kam ein eilender Brief, ich sende ihn besonders, damit dieser nicht zu dick wird, was in Österreich immer gefährlich.
Wo Du wohl wohnen magst, bin ich begierig zu hören! Hoffentlich angenehm und nicht finster.
Meine Adressen: bis zum 29. d. M. hier, dann bis 26. Heidelberg bei Herrn Beggrow, Theaterstraße 7, dann bei Levi in Karlsruhe, ich werde wohl am 1. oder 2. November dort Konzert geben.
Ich denke, eine von diesen wirst Du doch benutzen? Tue es, liebster Johannes. Hier grüßt alles herzlich und zumeist ich Dich als Deine
alt getreue
Clara.
P. S. Bei Streichers sage doch lieber nichts von wohnen dort, wenn sie etwa davon sprechen, es hat doch manches gegen sich für so lange Zeit. Lieber mögen auch sie sich um ein angenehmes Logis in der Stadt bemühen, wo die Nähe öffentlicher Gebäude, gerade für Damen, auch bequemer ist – ich möchte doch z. B. nicht abends aus dem Theater nach der Landstraße allein gehen, und so würde mich die Entfernung oft genieren.
Noch ’mal Addio!
Mittwoch gehe ich wegen Ludwig nach Karlsruhe – Wir waren neulich bei Gisela mit Turgenieff; sie schreibt mir anderen Tages (es wird Dich amüsieren), Turgenieff erschien ihr immer wie ein prächtiger Eichbaum, „unter dem ich sitzen möchte, Nüsse knackend wie ein Eichhörnchen voll Zutrauen“!!! Ganz Gisela!

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
928-932

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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