23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 14155
Geschrieben am: Sonntag 08.04.1866
 

Graz, den 8. April 1866.
Liebster Johannes,
nun siehst Du mich endlich wirklich fort von Wien – das hat schwer gehalten, ich habe die Zeit ausgedehnt wie Elastik. Gestern kam ich hierher, die herrliche Tour über den Semmering bei dem wunderbarsten Frühlingswetter war entzückend und erlabte das weichmütige Herz so, daß ich ganz gestärkt hier ankam. Heute habe ich ein brillantes Konzert gegeben (mittags) und nachmittags haben wir einen schönen Spaziergang gemacht – Graz liegt doch wirklich reizend. Morgen reise ich nach Klagenfurt in Kärnten, das soll erst ’mal entzückend liegen an hohen Felsen und Schneebergen, dabei soll das Volk ein sehr intelligentes sein! Ein Konzert ist mir dort arrangiert, und Freitag bin ich schon wieder hier und gebe ein zweites Konzert. Nach Triest, Venedig etc. komme ich nicht; in Triest waren die Konzertverhältnisse noch gar zu primitiv, und zu meinem Vergnügen gehe ich doch lieber je eher je lieber nach Baden – es zieht mich eben immer zu dem Alten, was ich schon ’mal liebe, und natürlich zur möglichst baldigen häuslichen Gemütlichkeit. Es hat sich alles sehr nach meinem Wunsche arrangiert.
Mit den Ärzten hast Du schon recht, aber diesmal hatte ich selbst mir mein Leiden schlimmer gedacht, als der Arzt es befand. Es ist allerdings ein Leberleiden. . . .
Aber da ist es, das glaube mir nur! Ehe ich mich entschließe, mit dem Arzt zu sprechen, da muß es schon schlimm kommen. So gehe ich denn also von hier ohngefähr am 14. über Wien, wo ich leider nur eine Nacht bleiben kann, nach Salzburg, gebe dort Konzert, dann nach München, besuche Julie auf 3–4 Tage und dann nach Karlsbad. Dort hoffe ich bis zum 14. Mai fertig zu sein und zum Musikfest nach Düsseldorf zu gehen – ich soll dort Roberts Konzert spielen. Nachher geht’s dann endlich nach dem geliebten Häuschen – wie freue ich mich darauf! Und wann wird denn der liebe Freund kommen? Von mir weißt Du nun wieder alles, ich von Dir nichts. In Deinem letzten Briefe stand von allem, nur nicht von Dir, Deinem Leben, Deinen Arbeiten (denn hoffentlich bummelst Du nicht?) und Deinen Plänen. Bitte, sage mir bald darüber, vergilt Bestes mit Bestem!
Du erhältst hierbei Dein Trio und einige Schubertsche Sachen, die Flatz für Dich hat kopieren lassen. Mit dem bin ich recht viel zusammen gewesen, und die Abende, die wir bei ihm und auch öfters bei mir, ganz gemütlich nur mit ihm, seiner Frau und Lewinsky verbrachten, gehören zu meinen schönsten Erinnerungen an Wien. Ich glaube wohl, daß ich in Zukunft alle Winter von Anfang November bis April dort zubringen werde, – es gibt doch keine Stadt, wo ich mich in vieler Hinsicht so wohl fühlen würde als dort, und eine musikalischere Stadt kenne ich auch nicht, wie ich denn überhaupt in den Provinzen auch merkwürdig viel Liebhaberei für Musik finde. Mangelhaftes gibt es freilich auch in Wien, aber nicht mehr als anderswo, nur des Guten mehr, z. B. das Burgtheater! Welche Genüsse habe ich da gehabt! Die mir tagelang◊1 in der Seele fortlebten und mich freudig machten zu jeder Anstrengung. Was habe ich da alles gesehen! Phädra, Nibelungen, Wintermärchen, Nathan u. a., und wie gespielt!
Ich wundere mich, daß Du es nicht mehr genossen? Ist wahr, daß Fritz nach Amerika geht?
. . . . Die Bilder vom Robert habe ich erhalten, sie sind aber so schlecht, daß ich sie nicht gebrauchen kann. Niemand will sie haben. Ich bringe sie Allgeyer wieder mit, ich muß ihn dann um andere bitten.
Höre ich nun bald von Dir, lieber Freund? Bitte, nach München, das jetzt am sichersten ist. Adresse: bei Frau Elise v. Pacher, obere Gartenstr. N. 13. Bis zum 16. hoffe ich dort zu sein, und wenn nicht, so schickt sie mir den Brief.
So sei mir denn von Herzen gegrüßt, und denke Deiner
getreuen
Clara.
Eine Bitte noch: Herr Will möchte mir seine Rechnungen für die Extra-Ausgaben für Ludwig nach München schicken. Sage die Adresse auch dem Ludwig mit schönsten Grüßen von uns. An Levi auch meinen schönen Gruß.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Graz
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Karlsruhe
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1026-1030

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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