23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 14216
Geschrieben am: Sonntag 22.10.1893
 

Frankfurt a/M d. 22 Octbr. 93
Liebe Frau Fiedler,
wie sehr hat Ihr lieber Brief mich erfreut! mein Dank kommt spät, darum aber gewiß nicht minder vom Herzen. Ich war die Zeit, seitdem wir wieder hier sind, so sehr in Anspruch genommen, durch Allerlei, wie das immer ist, wenn man lange vom Hause |2| fort war, man glaubt gar nicht was sich da Alles ansammelt! oft aber hatte ich Ihren Brief mir obenauf gelegt zur Beantwortung, und immer kam schnell zu erledigendes, so daß ich nun erst heute wirklich daran komme. Also fürerst herzlichsten Dank für Ihr freundliches Gedenken meines Geburtstages, den wir noch in Interlaken feierten. Dort waren wir 2 Monate, und, wills Gott, gehen wir nächsten Sommer wieder hin. – Eugenie war mit uns, das war eine |3| große Freude für uns. Sie wissen wohl nicht, daß sie sich in England niedergelassen hat: sie hat sich dort (in London) eine schöne Thätigkeit geschaffen, aber diese nimmt auch alle ihre Zeit in Anspruch, da sie doch ihres zarten Körpers halber immer mäßig in der Arbeit sein muß. In London ist, dies durchzuführen, doppelt schwer. Sie schreibt mir dieser Tage, sie brauche oft alle ihre freie Zeit nur zu den Stadtbriefen, die sie täglich zu beantworten habe. Daher haben Sie auch Nachsicht, |4| liebste Frau, wenn sie nicht schrieb. –
Sie schreiben mir so traurig über den Tod Ihres Neffen – ich wußte ja von nichts! es war wohl ein schon erwachsener junger Mann? War es der einzige Sohn Ihres Schwagers? ach, solcher Verlust ist schrecklich, und fühle ich tief mit Ihnen den Schmerz. Wie oft ich an die geliebte Lisl denke, kann ich Ihnen gar nicht sagen, und immer frage ich mich, ob es denn möglich, daß wir die Theure nie wiedersehen sollen?
|5| Herzogenberg hat uns in Interlaken besucht; und, jedes Mal wenn ich ihn wieder sehe, bewundere ich ihn, wie er diesen furchtbaren Verlust trägt. Ich hoffe nächsten Sommer ihn in Heiden besuchen zu können – es soll dort so gemüthlich bei ihm sein, ich kann mir ihn aber gar nicht in seinem Hause, da am allerwenigsten, ohne die theure Lisl denken, und glaube, es wird mich der Aufenthalt sehr erregen. –
Daß ich gar nicht |6| mehr nach München komme, ist mir eine große Entbehrung, aber, ich muß mich mehr und mehr auf die Reisen beschränken, die meine Gesundheit verlangt, da mich das Reisen anstrengt, und, der Aufenthalt an Orten, wo ich Freunde habe, die ich doch so viel als möglich sehen möchte, greift mich so an, daß ich gar keinen Muth mehr habe zu Jemand als Gast zu kommen. Dazu kommt, daß mein Kopfleiden |7| immer noch der Art ist, daß ich keine Orchester oder Opern-Musik ertragen kann, weil mir sich alles zu einem Chaos in meinem Kopfe gestaltet, es ist eben unbeschreiblich, und eine schwere Prüfung. Gott sey Dank kann ich selbst spielen u. unterrichten, dann schweigt das Getöse so lange, bis ich aufhöre, um von Neuem zu ertönen. Ich bin aber so dankbar dem Himmel, daß ich wenigstens selbst musicieren kann, daß ich dadurch die Leiden leichter trage. |8| Auch körperliche Leiden quälen mich, und diese wird man ja im Alter nicht mehr los. Der Himmel erhalte mir nur meine Töchter, die mich auf Händen tragen – Marie ist mein Schutz und Trutz! trotz ihrer vielen Pflichten nach Außen hin, ist sie mir die sorgsamste Pflegerin, lebt ganz mir neben der nicht leichten Aufgabe, die sie sich in ihren Klassen gestellt, dafür hat sie aber auch die Freude des Gedeihens ihrer Bemühungen, und schöne Erfolge aufzuweisen.
|9| Liebste Frau Fiedler ich nehme noch den 3ten Bogen, Ihnen für Ihre abermalige so herzliche Einladung nach München zu danken. Versprochen hatte ich Ihnen meinen Besuch aber nicht, nur die Hoffnung geäußert, daß ich vielleicht kommen könnte, an die „Abers“ denkt man dann nicht, wenn man etwas so sehr wünscht! –
Mit besonderem Interesse haben wir jetzt die musical Ereignisse in München |10| verfolgt, von Levi aber leider wenig erfahren, und ich vermuthe, er steht sich mit Possart nicht gut? ist dem so? Von Berlin hörte ich von seinem Erfolge, und daß er diesen Winter wieder dahin geht zu dirigieren. Wie geht es ihm gesundheitlich? ich weiß gar nichts mehr von ihm, es scheint, ich bin todt für ihn. Meine Wünsche für sein Wohl sind aber immer dieselben, wie früher.
|11| Von Hildebrandt weiß ich auch so gar nichts. Er ist wohl sehr fleißig an dem Brunnen? lebt er im Winter wieder in Florenz? wie geht es seiner lieben Frau und Kindern?
Werden Sie wohl mir die Freude machen meine Fragen zu beantworten? ich wäre Ihnen herzlichst dankbar. München mit seinem rauhen Clima muß ich wohl ganz aufgeben.
|12| Noch muß ich Ihnen aber sagen, daß ich mich, kämen Sie ’mal hierher, doch stundenweise frei machen könnte, und wir manch gemüthliches Beisammensein haben könnten; es wäre doch sehr nett, entschlössen Sie sich ’mal dazu.
Und nun, leben Sie wohl mit Ihrem lieben Manne und bleiben Sie Beide gut
Ihrer
warm ergb
Clara Schumann.
Marie grüßt sehr.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Fiedler, Mary (450)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
965-968

  Standort/Quelle:*) D-F, s: Autographensammlung der Musik- und Theaterabteilung, Nr. A32
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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