23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 17382
Geschrieben am: Freitag 21.08.1863
 

Am 21ten Aug.

Liebe, verehrte Freundin

Brahms hat uns Ihre Grüße gebracht, und ich habe mich sehr gefreut über die schönen Tage, die er in Ihrer jetzigen Heimath verbracht hat. Wann wird es mir so gut werden sie kennen zu lernen? Auf dem Rückweg von München? Brahms konnte mir nichts über Ihre Pläne sagen; ich hoffe Sie darüber zu Vernehmen. Er theilte mir mit, daß Sie an 2 Concerte in München, nach dem Musikfest, dachten. Ich kenne das dortige Publikum gar nicht. Ist es großstädtisch genug, um nach 3 aufeinanderfolgenden Musikfest-Tagen noch Lust zu neuen Geldopfern zu haben? Daß es mir eine Freude ist, so oft als möglich mit Ihnen zu musiciren (lang über Gebühr war die Pause!) ist eine alte Sache; schreiben Sie mir also wie Sie eigentlich die Münchner Angelegenheit meinen, und ob Sie nicht (wie es mir passend schiene) unsern Erfolg im Künstler-Concert auf alle Fälle abwarten wollen bevor wir uns zu etwas entschließen. Warum führt nur <nicht> der Weg von Baden nach München nicht über Salzburg! Sie haben keine Idee wie herrlich es hier ist, und nun meine Ursi3 Gottlob wieder frisch ist, könnte ich mir nichts lieberes denken als einige schönste Punkte Ihnen zu zeigen. Nur Luzern kömmt von dem was ich bis jetzt gesehen der Schönheit Salzburgs nahe, aber die Berge sind <> noch mehr zur Hand, die Spatziergänge mannigfacher, und das einzig fehlende, der herrliche See, wird durch die weite hügel- und waldreiche Ebene ersetzt. Die Leute wissen’s auch in der Welt: es vergeht kaum ein Tag ohne Fremdenbesuch bei uns. Manchmal auch recht lieben. – Brahms war leider nur einen Tag da; ich hoffe aber er hält es im steinern heißen Wien nicht gar lang aus, und kömmt nocheinmal 14 Tage her. Überlegen wollt’ er’s. In seinem neuesten Werk sind ganz tiefe, prächtige Sachen, und ich freue mich darauf es mehr als flüchtig zu genießen. Wie gefiel es Ihnen? Musicirt habe ich hier viel, Quartette mit David und dem vortrefflichen Spieler Conc.-M. Bennewitz vom Mozarteum, das auch einen brauchbaren Cellisten besitzt. Seit ein paar Tagen ist Fräulein v. Asten auch hier, die merkwürdige Fortschritte gemacht hat, und im Quintett von Schumann ihrer Meisterin gestern alle Ehre machte. – Könnte ich Ihnen doch, zum Dank für Ihren lieben Geburtstags-Brief von etwas fertig componirtem vom Geburtstagskind berichten! Es ist aber noch immer nichts Neues seitdem ungarischen Concert entstanden, und wenn die nächsten Wochen nichts bringen, werde ich schlecht in München vor Ihnen bestehen, liebe Freundin! Ist Kirchner noch bei Ihnen? und ist Woldemar wirklich ein vollendeter Egoist geworden, wie ich aus Andeutungen von Brahms schloß? Ich hoffe recht bald von Ihnen zu hören; möge es recht viel Gutes sein. Den lieben Ihrigen von uns beiden die herzlichsten Grüße. Ihnen gegenüber sind wir eins in herzlicher Ergebenheit!
Ihr
Joseph Joachim.

NB: geboren am 28 Juni, seit dem Hochzeit-Geburts-Schein aus Kittsee entdeckt. Wo werden Sie in München wohnen?
Adresse: poste restante.

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
734ff

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.