23.01.2024

Briefe



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ID: 17396
Geschrieben am: Donnerstag 01.09.1864 bis: 30.09.1864
 

Liebe Frau Schumann

Sie sind hoffentlich wohlbehalten bei den Ihrigen, und von besserem Wetter begünstigt gewesen als wir! Es ist mir wirklich eine schwierige Sache nun Ihre Frage wegen England zu beantworten, und ich will damit anfangen, daß ich Ihnen sage wie’s mir ergangen: ich habe durch 6 Wochen ein wahres Sklavenleben geführt, und doch war das Resultat bloß etwa 330 £ brutto. Hätte ich Engagements in Privathäusern angenommen, so hätten sich vielleicht 400 £ herausgestellt. Und doch ist die Chance eines Violinspielers immer noch günstiger als die eines Klavierspielers. Die Leute, welche die Concert-Arrangements in Händen haben, müssen sich mit Halle Pauer, Mrs Davison <> gut stellen, weil sie sie <alle> das ganze Jahr hindurch brauchen, währenddem die Londoner einheimischen Violinspieler weniger Prätensionen machen. (Die ansässigen Klavierspieler hängen eben durch Stunden mehr mit der Gesellschaft zusammen, mit Ladys, die Musikalien brauchen etc. u. haben dadurch Einfluß auf den allgemeinen Musikhandel. C’est partout comme chez nous!) Wenn Sie die Absicht haben mehrere Saisons nacheinander nach London zu gehen, würde ich Ihnen dennoch entschieden dazu rathen; einer Saison wegen würde es nicht lohnen. Ich kann Ihnen aber keinen besseren Rath geben, als ernstlich Mr Grove um Rath zu fragen; er steht unabhängig genug da, um auf die dortigen Klavierspieler keine Rücksicht zu nehmen, und ist doch durch Neigung und sein Sekretariat hinlänglich bekannt mit den Verhältnissen. Ob ich selbst wieder nach London gehe, wird von der Entscheidung des Königs wegen Grün abhängen. Auf alle Fälle aber würde ich es nicht wieder so machen wie das vorige Mal; d. h. ich würde mich später nur für bestimmte Concerte engagiren lassen u. dadurch mein Honorar in den einzelnen Fällen erhöhen, <> oder ich will versuchen eigene Soiréen zu geben, wobei allerdings ein Risico ist. – Ich finde, daß das Herumspielen in allen Concerten etwas unkünstlerisches hat. Ich werde Ihnen mittheilen, was der König beschließt, sobald ich es selbst weiß; für heute schicke ich den angeschlossenen Brief Platens. – Wie sollte es mich freuen, wenn wir Aussicht hätten wieder einmal längere
Zeit in derselben Stadt zu weilen! Theilen Sie mir doch Ihre Winter-Pläne
bald mit. Herr Ullmann7 hat mir wiederholt Anerbiethungen gemacht zu
Concert-Reisen: ich sollte die Kontrole [sic] der Annoncen und Programme
haben, er würde dann trachten auch Sie zu gewinnen. Aber darauf kann man doch nicht eingehen! Gute Mittel können keinen schlechten
Zweck heiligen!! Lieber Schwarzbrod aus einem reinen Teller, als Kuchen
aus der Geldwechslerschüssel!!! |5| So denken Sie gewiß auch. – Bei mir
werden jetzt für die nächste Woche allerlei Veränderungen vorgenommen,
um den jungen Weltbürger gebührend zu empfangen.8 Sie erhalten dann
Nachricht. Angenehmes aus Hannover weiß ich sonst nur noch zu berichten,
wenn ich sage, daß ich in den ersten Concerten einen halben Theil
mit Manfred und den andern mit der 9ten ausfüllen werde, wozu ich Sie
hier zu sehen hoffe.9 – Ist Johannes noch bei Ihnen?10 Ich schicke jedenfalls
die 4 händige Sonate,11 die mir als Composition fast durchgehend
ausnehmend gefällt. Nur möchte ich sie von Ihnen beiden |6| hören, um
ein Urtheil über den Klang zu haben. Klingt das immer deutlich genug,
bei der Vollgriffigkeit und reichen Stimmführung zugleich? Ich verstehe
zu wenig von Klavier um ohne zu hören mir ein Urtheil zu erlauben.
Ich grüße Sie alle von Herzen, und verbleibe wie immer
Ihr
freundschaftlich er-
gebner
Joseph Joachim
Anfang September 1864 781
P. S. Wie unendliche Mühe haben Sie Sich um meine Papiere gegeben! Ich
habe erst nachträglich die 2te und 3te Seite der Rechnung entdeckt!12

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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