Berlin, d. 4ten August
Liebe, verehrte Frau Schumann!
In aller Eile muß ich Ihnen einen sonderbaren, Sie angehenden Vorfall berichten, und fragen ob ich recht gehandelt. Ich kriegte von einem englischen Gelehrten vorgestern Abend aus Gastein ein Telegramm des Inhaltes: ich möge ihm eine telegraphische Empfehlung an Sie schicken! Nun ist es zwar ein höchstanständiger, sehr tüchtiger Mann und großer Musikliebhaber, der mir seiner Zeit sehr reizende Experimente über Ton-Schwingungen vorgemacht hat, aber wie Sie schon aus seiner recht englischen Bitte um telegraphische Vorstellung schließen können, etwas unruhig, „hiddelig“ wie die Hannoveraner das nennen. Ich telegraphirte ihm also wieder, daß ich vorzöge ihm zu schreiben, und that das ungefähr wie folgt: daß ich mich unter allen Umständen geehrt fühlen würde (in London etwa einmal) seine Bekanntschaft mit Ihnen herbeizuführen, daß ich aber wüßte Sie wären in Gastein um Erholung zu suchen und die Kur zu brauchen, und daher fürchtete Ihnen bei Ihrer Scheu neue Bekanntschaften anzuknüpfen jetzt mit Empfehlungen zu kommen, etc etc. War das nicht recht so? – Sollten Sie nun dennoch Herrn Sedley Taylor begegnen und Lust haben ihn durch einige freundliche Worte zu beglücken, so können Sie es ja thun: er ist ein sehr anständiger, kleiner, gescheuter Professor der Physiologie aus Cambridge. – Liebe Frau Schumann, ich habe nicht einmal noch für Ihre lieben aufmerksamen Zeilen gedankt! Ich bin wirklich in innerstem Herzen dankbar und erfreut darüber gewesen, und will demnächst ausführlich
schreiben.
Stets getreu Ihr Joseph Joachim
|