Firenze Hotel de la Ville
den 11ten September
Liebe, verehrte Frau Schumann!
Ursprünglich hatte ich mir bei meinen Sommerplänen vorgenommen, den 13ten September in Baden zu sein; nun ist es doch anders gekommen! Im Schnee und Eis des Engadin faßte mich die Sehnsucht nach Italien, in das ich trotz meiner nun bald 60 Jahre nie weiter hinein geguckt als bis Mailand und Venedig. Und da sitze ich nun wirklich seit Montag Abend in Florenz! Zu weit um zu Ihnen mit meinen Glückwünschen in Person zu erscheinen, aber mit den wärmsten Gedanken an Sie und die lieben Ihrigen. Stelle ich mir vor wie schön’s bei Ihnen sein wird, und daß wohl auch Brahms in Festlaune erschienen, so gäbe ich gern ein paar Tage vom göttlichen Florenz hin, könnte ich mit Baden tauschen. Aber das geht ja nicht an, und so muß ich mich schon auf den Spätherbst in Frankfurt vertrösten. Göttlich ist dies Florenz in der That bei dem wunderbar hellen und erquickend milden Wetter, ohne alle Hitze: ich habe entschieden Glück bis jetzt! Der Reichthum auf Plätzen, in Kirchen und Pallästen an allem was man sonst nur unorganisch aufgespeichert in Museen gesehen, hat etwas berückendes, und ich hoffe immer mehr vom Staunen zum genießen all des Herrlichen, zum Verständniß durchzudringen. Dabei die wundervolle Landschaft, gestern Nachmittag war ich in Fiesole. Kennen Sie dies alles? Ich wünschte es Ihnen von Herzen in schöner Zeit länger hier zu weilen. Wenn ich nicht irre waren Sie hier ohne vom Wetter begünstigt zu sein. – Bis zum 20ten denke ich hier zu bleiben, dann geht es heimwärts über München. Unterwegs werde ich in Gmunden einen oder zwei Tage die Königin von Hannover besuchen; da die gütige Frau mich immer einladet meine Ferien dort zuzubringen, will ich wenigstens vorsprechen. Am 13ten kommen Burnand’s hier an, was mich freut. Der Bildhauer Hildebrand ist zu meinem Leidwesen nicht hier, ich fand nur seine Frau mit der reizenden kleinen Mädchengruppe. Möge sich Ihr Geburtstag so gestalten wie es in alter Treue und Verehrung wünscht, liebe Freundin,
Ihr
Joseph Joachim
Einen freundlichsten Gruß an Miss Davis und Miss Grist
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