Berlin, d. 31. Decbr
Liebe, verehrte Frau Schumann!
Unter allen Freundes-Grüßen an Sie und Ihre Kinder soll der meinige morgen nicht fehlen. Er kommt von Herzen, und soll nur sagen, daß Sie mir immer gegenwärtig sind wenn meine Gedanken sich aus der zwingenden Alltagsarbeit zur Freiheit aufschwingen können. Ich habe die Feiertage mit den Kindern verleben dürfen und an ihrem geistigen Wachsthum Freude gehabt. Die Jungen steuern mit Vertrauen (unberufen!) dem Abiturienten-Examen entgegen; der zweite, Herman, will dieser Tage nach Hannover um sich seinem muthmaßlichen künftigen Chef, dem Artillerie-Oberst vorzustellen, es scheint Hoffnung daß er dort genommen wird. Er ist Feuer und Flamme für den Beruf! Johannes hoffe ich dann den Sommer über hier zu haben, als Einjährigen und Studenten. Meine Prozeß-Angelegenheiten sind zu einem Abschluß gekommen: ich habe gegen die von meiner Frau eingegangene Verpflichtung nichts weiteres zu unternehmen ihr mein Haus in Salzburg abgetreten, das sie sich wünschte. Gott sei Dank, daß von dieser Seite Friede ist. – Eben habe ich einen traurigen Gang gemacht; zu Herzogenbergs: Sie hat plötzlich ihren Vater verloren, den gütigen, liebenswürdigen alten Herrn! Gewiß wird Sie Ihnen selbst davon schreiben. Das kam in die freudige Stimmung über den wirklich guten Erfolg seiner Symphonie recht unvermittelt. Die armen Freunde! Ich bin noch immer unter dem Zauber des schönen Brief-crescendos in den herrlichen Mittheilungen welche Sie uns über Schumann gegönnt, lese immer wieder darin.
In herzlicher Ergebenheit Ihr
Joseph Joachim
|