Utrecht 31. Januar 1874.
Hochverehrte Frau!
Wenn auch die nächste Veranlassung dieses Schreibens nicht rein persönlicher Art ist, so kann ich doch nicht anders, als zunächst einer persönlichen Pflicht, ich darf sagen einem inneren Bedürfniß Ihnen gegenüber zu genügen suchen. Sie haben durch die freundschaftliche Theilnahme, die Sie seit einer Reihe von Jahren meiner lieben Braut geschenkt, durch die wesentliche Förderung und Unterstützung, welche Sie ihrer Entwickelung durch Rhat und That wiederholt und anhaltend haben angedeihen lassen, auch auf meinen Dank sich ein dauerndes Recht erworben. Ich fühle dieß um so lebhafter, als ich es ja sein werde, der nun an erster Stelle die Früchte dieser Ihrer Theilnahme, Ihres Einflusses genießen wird. So viel in meinen Kräften steht, will ich suchen, die Keime, welche Sie in Emma gelegt, zu |2| pflegen und entwickeln zu helfen, ihr helfen, den reinen Sinn, das feste Streben nach dem Echten und Wahren in der Kunst, mit einem Worte die Ideale ihr zu erhalten suchen, auf welche Sie durch Wort und Vorbild sie hingewiesen haben. Das, glaube ich, möchte der beste Dank sein, den ich Ihnen bringen kann. – Der Umstand, daß Emma, indem sie sich von der Oeffentlichkeit zurückzieht, der Kunst nur um der Kunst selbst willen leben wird, der Eintritt in einen Kreis, in welchem Sie hoffen darf, nach mancher geistigen Richtung hin, auch nach solchen, die ihr bisher ferner lagen, sich zu entwickeln, und vor Allem die Erfüllung ihres natürlichen weiblichen Berufes in eigener glücklicher Häuslichkeit, werden auch der Künstlerin in ihr, wie ich glaube, förderlich sein. So hoffe ich wird das was Sie für sie gethan, nicht verloren gehen, und wenn es auch von nun an in einem engeren Kreise wirken wird, doch um so intensiver seine Wirkung ausüben und um so tiefer und dankbarer empfunden werden.
|3| Mit aufrichtigem Bedauern erfuhr ich aus den freundlichen Zeilen, die Sie vor einigen Wochen an Emma zu richten die Güte hatten, daß Sie selbst an der Ausübung Ihrer Kunst durch ein rheumatisches Leiden verhindert waren und mit noch lebhafterer Theilnahme höre ich aus einem der letzten Briefe von Emma, daß Ihr Zustand sich noch keineswegs gebessert haben soll. Von ganzem Herzen wünsche ich, daß Sie bald völlig wiederhergestellt sein mögen. In dieser Hoffnung wage ich es denn auch Ihnen eine Bitte vorzulegen, mit deren Erfüllung Sie nicht nur mich, sondern auch, zunächst meine Collegen vom hiesigen Concertdirektorium, in derer aller Namen ich diese Bitte an Sie richte, und dann das ganze musikalische Utrecht, ja einen guten Theil des musikalischen Hollands aufs Höchste erfreuen und zu Dank verpflichten würden! Unsere Bitte ist: können Sie uns für das Abonnementconcert, welches Sonnabend den 7.ten März hier stattfinden soll, Ihre Mitwirkung in Aussicht stellen? – Erscheint Ihnen die Reise nach Holland eines einzigen Concertes wegen zu beschwerlich, so würde sich Ihnen noch Gelegenheit zu zwei anderen Concerten bieten: am 4ten März im Haag (unter |4| Nicolai), am 6.ten in Amsterdam (unter Verhulst). Unser letztes Utrechter Concert findet am 21. März Statt. Würde Ihnen dieser Tag mehr zusagen, als der 7te, so würden Sie uns auch dann höchst willkommen sein. Vielleicht ließe sich in der einen oder anderen Weise Ihr Besuch in Holland mit Ihrer englischen Reise verbinden? – Ich brauche Ihnen, hochverehrte Frau, nicht zu sagen, mit welcher Verehrung und Freude Ihr Kommen begrüßt werden würde! Die Hunderte von Pilgern, welche in den Augusttagen des vergangenen Jahres von Holland gen Bonn zogen, werden Ihnen ein lebendiges Zeugniß davon gewesen sein, was der Name Schumann auch hier bedeutet. Ihnen die Verehrung dieses Namens auch im eigenen Lande ausdrücken zu dürfen, würde mit inniger Freude nicht nur, sondern auch mit Stolz von allen empfunden werden. Ich will schweigen von der Freude, die es mir bringen würde, Ihnen bald persönlich für Alles zu danken, was Sie meiner lieben Braut erwiesen haben.
Haben Sie, bitte, die Freundlichkeit mich – und wenn es sein kann recht bald – mit einem Worte wissen zu lassen, ob Sie, wie wir hoffen, und unter welchen Bedingungen Sie uns besuchen können und nehmen Sie einstweilen die Versicherung der größten Hochachtung und Verehrung
Ihres ergebenen Prof. Th. W. Engelmann.