23.01.2024

Briefe



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ID: 18297
Geschrieben am: Freitag 06.03.1891
 

Utrecht 6 März 1891.
Liebe u. verehrte Frau Schumann!
Eine Zeile von Ihrer Hand macht soviel Freude, daß man schon recht unbescheiden sein müßte mehr zu verlangen, auch wenn man nicht wissen sollte, wie sehr Ihre Zeit u. Ihre Feder in Anspruch genommen sind. Wenn ich Ihnen heute auf Ihre freundlichen Worte von vorgestern schreibe, so ist das auch nur um Ihnen herzlich dafür zu danken u. Fragen zu beantworten, nicht um Ihnen die Feder wieder in die Hand zu drücken.
|2| Zunächst möchte ich mir aber noch einen, wenn auch stillen, Glückwunsch ausbitten! Denken Sie, ich glaube die Ursache meines entsetzlichen Kopfleidens gefunden u. gehoben zu haben! Heute vor 4 Wochen entdeckte ich bei Untersuchung meines Bluts im Laboratorium, daß ich viel zu wenig Blutfarbstoff besaß. Sofort begann ich Eisen zu schlucken u. von dem Tag an war ich wie umgewandelt. Schon nach 14 Tagen war mein Blut normal. Weshalb ich zu wenig Blutfarbstoff hatte ist mir auch klar geworden. Es war eine chronische Selbstvergiftung im Spiel. Das Gift, das sich im Körper selbst erzeugte u. erfahrungsgemäß |3| den Blutfarbstoff sehr energisch zerstört u. heftige Kopfschmerzen verursacht, wird durch das Eisen vernichtet wo es entsteht, u. kann nun nicht ins Blut u. da seine schädlichen Wirkungen ausüben. Wenn Sie wüßten, wie ich aufathme! Die letzten Monate waren gerade wieder so entsetzlich gewesen u. nun bin ich wie neugeboren, wirklich ein ganz andrer Mensch, der wieder hoffen darf sich nützlich zu machen. Wenn die Cur nun auch nur vorhält! Ich wage es noch garnicht, daran zu glauben. Es sind nun aber schon vier Wochen u. darin habe ich ungestraft allerhand thun können, was ich früher sicher bitter hätte büßen müssen. – So blieb ich auch |4| in den Tagen wo Prinz Reuß u. Frl. Wietrowetz hier waren, trotz viel Geselligkeit, Musik u. sonstiger Thätigkeit, vollauf leistungsfähig. Wir hatten Frl. W. am Sonntag noch bei uns, wo Sie mit Emma Brahms A.dur Sonate u. Beethoven G.dur spielte. Im Concert Tags vorher hatte sie mit Brahms’ Concert, trotz recht mäßiger Orchesterbegleitung (eine Probe) einen sehr großen wohlverdienten Erfolg. Leider war sie entschieden körperlich erschöpft, sah entsetzlich elend aus, telegraphierte auch weitere Concerte ab um sich zu Haus auszuruhen. Der Ueberanstrengung durch die vorausgegangenen Concerte (ich glaube 5 oder 6 in einer Woche) müssen wir gewiß zuschreiben, daß sie in technischer Beziehung nicht ganz das leistete, was nach dem vorausgegangenen Rufe wohl erwartet werden durfte. Die Bogenführung, auch der Ton-|5|ansatz waren von einiger Unruhe u. Unsicherheit nicht immer frei zu sprechen, stellenweise unmotivirt heftig, auch das portamento etwas gewaltsam. Das Alles hinderte aber nicht, das ganz ungewöhnliche musikalische Talent das offenbar in Frl. W. steckt zu erkennen u. zu schätzen. Sie besitzt Originalität. In Brahms Concert brachte sie mehreres zu ganz überraschender Geltung, wie wirs – auch von Joachim, der freilich der Einzige bleibt – <sonst> noch nicht hörten. Beim großen Publikum hatte Frl. W. unbedingten großen Erfolg u. sie wird gewiß bald wieder nach Holland eingeladen werden.
Am ersten April erwarten wir Prof. Joachim hier. Er |6| war so gütig, seine Mitwirkung in einer zum Besten unserer Augenheilanstalt zu veranstaltenden Kammermusikaufführung zu zu sagen. Emma war auch so gut, ober soll ich lieber sagen so leichtsinnig? sich dazu bereit zu erklären. Nun hat sie aber bereits eine Angst, die wirklich mitleiderregend ist. Da das Concert schon in den Zeitungen angekündigt ist, fühlt sie sich schon halb hingerichtet. Ich hoffe aber doch, daß sie, einmal am Clavier, u. unter der beruhigenden Nähe Joachims, ihre Sache noch ganz gut machen wird. Steinwegs schicken einen neuen, eigends für sie ausgesuchten u. hergerichteten |7| Concertflügel, den sie später im Haus behält u. der wohl in den nächsten Tagen eintreffen wird, so daß sie Zeit hat sich darauf noch einzuspielen. Das Programm soll sein:
1) Sonate A.dur Brahms.
2) Liedervorträge (Hr. Messchaert, begleitet von Julius Röntgen)
3) Ciaconne von Bach (Hr Joachim)
4) Solostücke für Clavier
5) Lieder
6) Sonate G.dur Op. 96 Beethoven.
Ich wollte für E. es wäre bereits 2. April u. Alles gut vorbei. Oder sie könnte hinter einer spanischen Wand spielen. Denn es ist nur die Scheu von so vielen gesehen zu werden, die ihr das Auftreten so schwer macht. Fleißig war sie in letzter Zeit sehr u. zu Haus kann sie |8| ihre Lektion sehr schön. Ich glaube daß sie immer noch Fortschritte macht. Aber sich selbst thut sie nie genug u. findet immer u. an allen Ecken u. Enden an ihrem Spiel auszusetzen. Wie ich ihr das zum öffentlichen Auftreten doch so wünschenswerthe Selbstvertrauen beibringen soll, ist mir noch dunkel. Vielleicht muß doch schließlich die Apotheke oder der Weinkeller etwas mithelfen!
Wie schön wäre es, wenn Brahms den Rhein herab zu uns führe, da er doch bis Frankfurt kommt. Er war so lange nicht in Holland. Der erste April ist ein Tag den er ja besonders liebt. Dazu sollte er herkommen! Und die Hoffnung, Sie bei uns zu sehen geben wir auch noch nicht auf. Gehen Sie nicht im Sommer nach Domburg zum Besuch? Da führt der Weg fast über Utrecht.
Mit herzlichsten Grüßen von Emma, in treuer Verehrung
Ihr ThW Engelmann

  Absender: Engelmann, Theodor Wilhelm (423)
  Absendeort: Utrecht
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 13
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit den Familien Verhulst, Kufferath/Speyer und Engelmann sowie anderen Korrespondenten in Belgien und den Niederlanden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Eva Katharina Klein, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2024
ISBN: 978-3-86846-024-7
709-713

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 6,58
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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