München d 7 März 1895
Liebste, hochverehrte Frau Schumann!
Mit dem nahenden Frühjahr, das sich freilich hier jetzt noch hinter Schnee u. Frost energisch verbirgt, kommt aber um so dringender unser innigster Wunsch Sie endlich einmal wieder sehen zu dürfen. Ich bin unbescheiden genug, Sie daran zu erinnern, daß Sie Generaldirector Levi vor Weihnachten, die schöne, hoffnungsvolle Aussicht |2| eröffneten während der Osterferien vielleicht nach München zu kommen! Brauche ich Ihnen erst zu versichern, wie sehr Sie uns mit Ihrem lieben Besuch erfreuen würden u. wie beglückend es nur wäre, Sie ganz bei uns haben zu dürfen! Jetzt könnte ich Ihnen auch ein viel behaglicheres Quartier bieten, wie damals, wo Sie so nachsichtig u. gütig bei uns fürlieb nahmen. Schon längst hätte ich Ihnen diese unsere herzliche Bitte vorgetragen, wäre mein armer Mann nicht seit Neujahr recht |3| gepeinigt gewesen durch Ischias. Jetzt endlich geht es entschieden besser u. durfte er sogar, trotz Kälte, einige Male ausgehen. Aber er muß immer noch sehr vorsichtig sein u. das Wochen-lange Gehemmtsein im Gehen, in der Bewegungsfähigkeit überhaupt, hat seine allerdings unglaubliche Geduld auf eine harte Probe gesetzt u. er ist nun wirklich ungeduldig endlich einmal wieder ganz frei zu sein, u. nicht mehr an seinen elenden Körper denken zu müssen.
Wir haben in Folge dessen diesen Winter fast ebenso still u. zurückgezogen gelebt, wie den vorigen u. uns so behaglich eingesponnen |4| in unserer Krankenstube, daß es uns ganz schwer wird, wieder mit der Außenwelt in Beziehung zu treten. Solch’ ein Stilleben nur mit guten lieben Freunden, mit denen man sich zusammengehörend fühlt, hat einen ganz eigenen Reiz u. ist recht verwöhnend; ich habe vollständig verlernt, selbst in unserer kleinen geselligen Welt zu verkehren: freilich ist daran hauptsächlich schuld, daß ich mich seit dem Tode des geliebten Vaters überhaupt nur sehr schwer in’s Leben zurückkehre u. finde u. der Ton, der doch meist in der Geselligkeit herrscht, ist ein schriller Mißklang |5| ┌für┐ <zu> mein inneres Leben. – Aber um so wohlthuender wäre mir ein Wiedersehen mit Ihnen, liebste Frau Schumann, weiß ich doch, daß Sie meinem Vater ein gutes Andenken bewahrt haben u. mir gewiß die schmerzliche Freude gern gewähren würden, mit Ihnen von vergangenen Zeiten reden zu dürfen: haben Sie doch gerade meine schönsten Mädchenjahre, wo ich so ganz meinem Vater leben konnte mit erlebt!
Hoffentlich ist der selten strenge, unerbittliche Winter für Sie u. Frl. Marie gut verlaufen bis jetzt u. <[?]> Frankfurt auch von der |6| abscheulichen Influenza verschont geblieben, die hier seit Wochen sehr heftig auftrat, nun aber sehr im Abnehmen ist. – Gerne wüßte ich auch wie es Eugenie geht, will ihr aber selbst in den nächsten Tagen schreiben – reizend wäre es, wenn sie die Osterferien zu Ihnen käme u. wir so auch hoffen dürften sie zu sehen; wenn Sie sehr nachsichtig sind, kann ich auch ganz gut drei Menschen beherbergen, freilich muß ich dann ein Bett in Ihren Salon stellen, aber das Zimmer ist sehr groß! – Verzeihen Sie, daß ich Sie so unbescheiden quäle – aber Levi hat mir Muth gegeben u. |7| die schönsten Hoffnungen in uns erweckt.
Es klingt freilich wie ein Hohn, vom nahenden Frühjahr zu sprechen, während es heute am 7. März draußen schneit, als sollte das Christkind erst noch kommen – aber es muß doch endlich einmal besser werden! – –
Mein Mann sendet Ihnen seine wärmsten ergebensten Grüße, denen ich mich von ganzem Herzen anschließe u. ich bin in
treuster Ergebenheit
Ihre Mary Fiedler.
Die herzlichsten Grüße für Frl. Marie.