23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 18575
Geschrieben am: Samstag 10.09.1881
 

Venedig Palazzo Loredan 10. Sept. 81.

Meine theure liebe Frau Schumann,

Von so vielen Menschen Sie’s auch zu hören kriegen werden, daß Ihr Geburtstag einer der schönsten u. liebsten Festtage ist im ganzen langen Jahr, von mir soll’s Ihnen auch nicht erspart bleiben u. Sie müssen ruhig u. geduldig anhören daß man Sie verehrt wie keine andre u. liebt wie wenige in dieser großen Welt, wo das Schönste u. Beste „rar“ ist, weshalb man auch die Berechtigung hat, es mit besondrer Liebe zu lieben. Es wird so oft geklagt über die arme Welt, u. daß das Schöne nur so vereinzelt sich finde, immer nur ein Ausnahmszustand sei; aber ich meine, wenn es auch etwas trauriges hat, daß Porzia zu Nerissa in jener schönen Nacht (bei Betrachtung des leuchtenden Sterns der ihnen auffällt) sagen kann: „so shines a good deed in a naughty world“, so ist doch eben der Schein einer guten That u. der Schein eines edlen u. großen Menschen um so größer je seltener er ist, u. wir hätten nimmer diese gerührte Freude an solchen Auserwählten, wenn wir ihnen öfter begegneten! Und ich empfände es dann auch nicht als ein solches Glück, daß es mir vergönnt ist, eine Beziehung zu Ihnen zu haben, Sie zu kennen, Sie lieben zu dürfen, wenn es mehr als eine Clara Schumann gäbe! Haben Sie Dank Sie liebe Theure, daß Sie sind wie Sie sind; lieb u. einfach u. gut, daß man oft meinen kann, man stünde vor seinesgleichen, wenn Sie mit einem reden, u. erhalten Sie einen das Glück Ihres lieben Wohlwollens! Und lassen Sie sich das heranbrechende Jahr gut bekommen, als Mensch u. als Künstler, als Körper u. als Seele u. lassen Sie sich frisch u. froh umarmen wenn Sie diesen Winter wieder nach Leipzig kommen, <> u. dann wollen wir drüber nachdenken, ob eine zweite Umarmung in Frankfurt wirklich stattfinden kann, zu der uns Ihr lieber schöner Gasteiner Brief gesteigerte Lust gemacht hat. Wie gerne sagten wir jetzt schon unbedingt ja, aber wir Gewitzigten lassen uns vom Schicksal lieber überraschen als betrügen u. halten nur erwartend stille. Nur das Hoffen bleibt mir unbenommen u. damit will ich mir die Zeit vertreiben, bis sie am Ende unvermerkt zur schönen Erreichung unsres Wunsches führt. – Wir sind seit Ende August hier u. genießen Venedig wie noch nie da wir diesmal das <Gefühl>Glück haben, wie vorig Jahr in Florenz, es ohne Touristengefühle kennen zu lernen, denn wir wohnen bei meiner Mutter, um derentwillen wir ja herkamen. Ich mag Ihnen nicht das tausendmal Geschilderte schlechter als andre vormalen, aber beschwören möchte ich Sie, daß Sie doch um jeden Preis versuchen möchten, endlich einmal mit eigenen Sinnen dieses Märchen kennen zu lernen, diesen Traum zu träumen. Venedig ist auch so etwas nur einmal möglich Gewordenes, mit dem sich nichts, absolut nichts vergleichen läßt, ein individuelles Stück Welt wie kein andres u. in dem alles in seiner herrlichen Nothwendigkeit einen zwingenden Zauber wie die Natur selber auf einen ausübt. Nirgends ist mehr u. verschiedenartigeres beisammen um einen anzuregen u. zu entzücken, u. nirgends doch mehr Einheit als in diesem fabelhaften Venedig, mit seinem großartigen historischen Hintergrund, der es für die Glücklichen qui connaissent l’histoire mit der ganzen Welt verknüpft; mit seinem Meer u. seinen Lagunen, wundervoll belebt von vielgereisten hochmastigen Schiffen <>u. den anmuthigen träumerischen Gondeln, mit seiner schönen heitren Kunst, die sich idealisirend um all die stolzen Kaufmans Palläste breitet, u. verschwenderisch die größte Pracht verschiedener Zeitalter selbst über die verstecktesten Winkel des Stadt-Labyrinthes ausgießt – all der unvergleichlichen Schönheit die in den Kirchen u. öffentl. Gebäuden mächtig zu einem redet, zu geschweigen – ja dies muß man sehen, in Ruhe u. Gelassenheit, ohne Angst etwas zu versäumen, ohne traurige Nothwendigkeit, auch in der ungesegneten Stunde <>vorübergehender Stimmungslosigkeit genießen zu müssen (wie die ärmsten Touristen!) um dem Herrgott u. den Menschen das Compliment machen zu können, daß hier etwas wahrhaft gelungen sei. – Die Seebäder die wir täglich nehmen genießen wir sehr u. sie bekommen mir außerordentlich aber das Schönste dran ist fast die Fahrt, besonders vom Lido zurück mit dem langen Blick auf die zauberisch weiße, mit leisem Roth belebte, Kuppel an Kuppel reihende, vornehme u. zierliche, stolze u. liebliche Stadt; schöne Schiffe mit geblähten orangegelben, braunen u. weißen Segeln ziehen an einem vorüber u. in der Ferne tauchen wie schwimmende Inseln die schönen Formen der Euganeen aus dem Wasser empor, – das alles ist fast noch gesünder für Augen u. Seele als die schönen Salzwellen für den Körper! – Doch nun hab ich wider Willen recht arg geschwätzt u. will rasch schließen. Lassen Sie mich hoffen daß Sie Ihren Festtag recht wohlauf u. recht froh inmitten Ihrer Kinder und Enkelchen verbringen u. nichts Ihrer aller Freude stört. Volklands beneide ich, die Ihnen wieder nahe sein können – wir mit unsrer weithin zersplitterten Familie haben’s wohl nie so gut einmal nach unsrem Sinn allein uns einen Sommerrast zum Verweilen mit lieben Freunden auszusuchen! – Leben Sie wohl Sie Theure sehr Geliebte, bleiben Sie mir gut in Ihrem neuen Jahr u. lassen Sie sich die Hände küssen u. (leise!) drücken von meinem Heinrich u. Ihrer so ganz u. gar ergebenen
Lisl Herzogenberg

Meine Mutter trägt mir die herzlichsten Empfehlungen an Sie auf.
Adolph Hildebrand ist hier[,] sehnt sich immer sehr darnach Sie zu modelliren – schon deshalb müssen Sie einmal nach Italien!

  Absender: Herzogenberg, Elisabeth von (691)
  Absendeort: Venedig
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 15
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit den Familien Voigt, Preußer, Herzogenberg und anderen Korrespondenten in Leipzig / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Ekaterina Smyka / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-86846-026-1
479-482

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 4,128
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.