23.01.2024

Briefe



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ID: 18620
Geschrieben am: Freitag 30.03.1888
 

München den 30. März 88 Abends.

Meine theure Frau Schumann,

Daß Sie die Nachricht durch Frau Benecke gehört, ehe ich sie Ihnen mittheilen konnte, macht mich ganz betrübt. Täglich nahm ich mir vor, Ihnen zu schreiben, aber seit der Operation bin ich noch tausendmal gebundener als früher, u. da ich der Familie, die ich übrigens auch erst nach der Operation benachrichtigte, täglich Bericht erstatten muß, so bleibt immer mir grade Wichtiges ungethan. Wir haben uns sehr rasch zu dem ernsten Schritt entschließen müssen u. das war gut denn vorher lag es Centnerschwer auf uns. Unser Doctor hatte schon lange vor, mit einem Chirurgen herzukommen um über das arme, nach u. nach ganz krummgezogene Bein zu berathen, es verschob sich aber durch unsres Arztes eigenes Erkranken, endlich kamen <S>sie am Montag vor 8 Tagen, u. Prof. Angerer hatte das Knie kaum betastet u. mit seinen klugen Anatomen-Augen fixirt, so sah ich ihm an, daß sein Eindruck fest stand. Mit mir u. Schmid hinausgehend, sagte er sofort: hier gebe es nur eine Rettung: die „Resection“ das ist Kniegelenksoperation. Das Leiden habe furchtbare Zerstörung angerichtet, ein großer Theil der Gelenkskapsel sei schon zerfasert, (nicht mehr vorhanden!) u. von einer Heilung des Beines mit gelinderen Mitteln sei keine Rede mehr. Wenn H. sich nicht entschlösse, so werde er eben auf Krücken gehen müssen, während diese Operation ein zwar steifes aber vollkommen grades Bein zur Folge haben werde. Und zwar sei dies Resultat kein wahrscheinliches, sondern ein sicheres für das er garantiren könne. Sie können denken wie mir bei dieser Eröffnung ward, aber der Mann sprach so bestimmt u. so zuversichtlich daß es mir doch <gleich> den Muth machte Heinrich zuzureden dem gleich die Mittheilung gemacht wurde. Der Arme kämpfte einen kurzen aber schweren schmerzlichen Kampf[,] der Entschluß ist aber auch kein leichter! Tags darauf holte sich Schmid in dessen schon Heinrichs Zustimmung. (Diesen lieben lieben Arzt kann ich gar nicht genug preisen wie er mir geholfen hat in dieser Leidenszeit, wie er mich aufgerichtet hat durch seine menschliche wahrhaftige Güte u. die Freigebigkeit seiner Theilnahme!) Nun, am Freitag früh kamen sie an, 4 Mann hoch, <> den Salon hatte ich zum Operationszimmer herrichten, alle Vorhänge entfernen müssen u. nachdem mein armer Heinrich narcotisirt worden (was ich noch miterleben durfte) trugen sie ihn mir fest schlummernd hinüber, mich dann meinem Schicksal überlassend. Wie ich über die Zeit hinweggekommen bin, weiß ich selber kaum, eine unnatürliche Aufregung hält einen aufrecht u. es ist als wenn unsichtbare Kräfte einem zu Hülfe kämen wenn man sich redlich bemüht, nicht fassungslos zu werden – ich war auf eine lange Dauer <>vorbereitet 2–3 Stunden hatte man mir gesagt, u. da aus dem Marterzimmer kein Laut drang glaubte ich, wäre das Aergste noch gar nicht angefangen, als nach knappen 3/4 Stunden die Thüre aufgeht u. sie <ihn> mir den Heinr. schon fix u. fertig bandagirt zurückbringen!! Erst bekam ich einen gewaltigen Schrecken, meinte, eine ernste Störung müsse eingetreten sein u. die Sache unterbrochen haben – aber da beruhigte mich bald der Professor der mir sagte, ungewöhnlich gut u. rasch sei alles verlaufen. In seinem Bett wachte mein armes geschlachtetes Lamm nun allmählich auf u. als er hörte Alles sei vorüber brach er vor Freude in Thränen aus u. machte mir rührende Liebeserklärungen als wäre es mein Verdienst! Ach theure Frau das sind Momente die für viel Herzeleid entschädigen! Wunderbar gut ging nun alles, kein Cloroform-Katzenjammer trat ein, (wenigstens nur ein Stündchen lang) kein Erbrechen u. keine Magenbeschwerden, Fieber hatte er nur die ersten 2 Tage u. absolut keinen Schmerz in der Wunde! Dies ist uns gradezu märchenhaft, u. über die Virtuosität der jetzigen Chirurgie, die solches möglich macht, können wir uns gar nicht beruhigen. Vor 20 Jahren war diese Operation noch fast absolut tödtlich während jetzt nie ein unglücklicher Ausgang vorkommt! Der antiseptische Verband bleibt bis Anf. Mai unverändert – welche Erleichterung für solch armen Patienten ist das allein schon! Indessen leidet er noch immer sehr sehr durch die fast vermehrten Sitz-schmerzen u. neuen Fersenschmerzen u. große Verzagtheit bemächtigt sich oft<> seiner. Unser guter Dr verläßt uns leider schon am 4. Apr. muß nach Carlsbad wir haben dann nur Stintzing, den wir übrigens schätzen, – u. gar kein Umgang, da Fiedlers schon 14. April nach Italien reisen. Levi aber ist schon seit 8 Tagen fort, Sie werden gehört haben daß ihn eine Art Ohnmacht befiel beim Dirigiren des letzten Odeon Conc. u. <da> er konnte sich danach gar nicht wieder erholen. Stintzing den er consultirte erklärte ihn für völlig gesund aber überarbeitet u. nervös ganz herunter, u. ein Urlaub zu seiner Erholung ward ihm gewährt. Natürlich fällt ihm dadurch Bayreuth auch in’s Wasser u. das ist ein Glück denn damit, verbunden mit der hiesigen Thätigkeit, schadet er sich zumeist. Mir geht es wunderbar gut für alles das was ich durchmache an Kummer u. Sorge, ich schone mich aber auch, gehe früh zu Bett u. wache nie mehr, da der Arzt mir das ganz verboten hat, nur 3 Nächte nach der Operation schlief ich mit m. Heinrich u. erlebte die Freude seines ersten Aufwachens in der ersten Nacht wo er ganz laut sagte: ach Gott sei Dank es ist ja vorüber! In etwa 9 Wochen soll das Bein ganz heil sein, dann fängt das Aufstehen an u. langsames Gehenlernen! Etwas verkürzt wird das Bein bleiben. Bitte theilen Sie doch Ihrem Ferdinand die Sache mit, es wird ihn interessiren wie’s dem Collegen aus Teplitz erging! In Wittelsbach sind sie weniger sentimental, ich besuchte Höslin gestern (weil er vor der Operation da war) u. da hatte er Niemandem im Hause ein Wort von meinem Mann gesagt! So daß nicht einmal der kl. Dr Reimann dem ich begegnete mir eine Bemerkung machte auch Hösslin war kühl bis an’s Herz hinan u. ich dachte zu mir: du Esel warum bist du auch hinausgegangen. Ich bin doch so froh daß Ihr Ferdinand nicht hinkam, das Gemüth verkümmert dort zu sehr u. schließlich materiell ist man auch nicht im Himmel. Ich schreibe dies alles Abends während m. Heinz schläft sonst wäre es nicht gegangen, nun nehmen Sie auch Vorlieb, Dank für Ihre warmen Worte ach die Liebe der Freunde ist doch das Köstlichste u. Hülfreichste in so schweren Zeiten.
Leben Sie wohl u. möchte Ihnen Ihre Londoner Fahrt auch hinterdrein recht gut thuen u. Sie sich schön frisch erhalten theure Frau Schumann
Schönen Gruß an Marie von
Ihrer getreusten Lisl

  Absender: Herzogenberg, Elisabeth von (691)
  Absendeort: München
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 15
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit den Familien Voigt, Preußer, Herzogenberg und anderen Korrespondenten in Leipzig / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Ekaterina Smyka / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-86846-026-1
678-681

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 5,135
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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