Liebe, verehrte Frau Schumann!
Wir wollten Ihnen eben einen Gruß senden, da wir Ihrer wie unseres Johannes dieser Tage mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohl gedachten, als Ihr Brief ankam, der uns sehr erfreute. Nun darf man sich Sie in voller Frische am Geburtstage musicirend denken. Gott erhalte Ihnen diese Kraft und Freudigkeit für die Kunst, uns zur innigsten Theilnahme und Erquickung! Wie bin ich gespannt auf die schönen Programme, die Sie sich gewiß für Ihre Soiréen ausgedacht haben, und wie sollte es mich freuen, wenn Sie mich, etwa zu einem Quartett oder Quintett von Brahms, dabei verwenden wollten. – Allmälig [sic] denkt man an Berlin zurück, obwohl es mir gar nicht unlieb wäre einmal einen Winter hier in der Einsamkeit zu verleben. Das sind aber sehr fromme Wünsche, die der Hochschulen-trouble bald übertönen wird. Hoffentlich finde ich Sie schon in Berlin<,> wenn wir dort ankommen, und Sie erzählen mir dann von Bruchs neuem Violin-Concert und Sarasate’s Spiel, das ich leider noch nicht kennen gelernt habe, und von dem mir auch verständige Musiker mit Bewunderung gesprochen. Sein Geschmack an manchen Compositionen macht mich etwas irre über seine Fähigkeit sich zu vertiefen; dann denke ich aber an die Viardot, an der uns auch manches unverständlich bleibt nach dieser Richtung, und die uns doch <auch> oft hinreißt, an Rubinstein u. an so manche andere. – Möge Ihnen übermorgen in Baden auch die Sonne so herrlich leuchten, wie heute hier, wo sie nach vielen Regentagen recht herzerquickende Wärme spendet, und denken Sie dann auch
Ihres
von Herzen ergebnen
Joseph Joachim
Salzburg, d. 11ten Septbr
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