23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 18877
Geschrieben am: Dienstag 17.08.1880
 


Beilage der Wiener Allgemeinen Zeitung.
Schottenring 14.
An Frau Dr. Schumann
1880, d. 17. Aug.
Privatwohnung: IX Günthergasse 2 pt.

Hochgeehrte Frau,
seit gestern bin ich im Besitze der von Ihrem Fräulein Tochter1 für mich abgegebenen Manuscripte. Ich bitte ihr meinen Dank für ihren freundlichen Brief zu sagen, wie ich Ihnen und Ihrem Herren Bruder für die gemeinschaftliche Sendung recht sehr danke. Sobald ich eine Anzeige des vortrefflichen Vademecum geschrieben haben werde, will ich Ihnen die betreffende Nummer der Zeitung schicken.
Trotzdem ich gerade jetzt mit redactioneller Arbeit überhäuft bin – und als Alleinherrscher, besser Alleinsclave, des Feuilletons den Tag über in Schach gehalten werde, habe ich doch schon ziemlich viel in Ihrer Briefsammlung gelesen und bin entzückt von den dort aufgespeicherten |2| Reichtümern des Geistes und Gemütes. Sie werden mir manche Winternacht „hold und schön“8 machen, und ich freue mich darauf, mit ganzer Seele in ein fremdes Leben unterzutauchen, je weniger mir das eigene gefällt. Es sind doch die höchsten Momente des Daseins, wo wir uns selber loswerden, um völlig in etwas Größerem und Besserem aufzugehen!
Mir thut es leid, daß ich auf die Durchsicht der von Ihnen zurückgehaltenen Bände verzichten soll; dort würde sich ohne Zweifel mehr finden als uns das flüchtige Durchblättern erwarten ließ. Ich hoffe immer noch, daß ich Sie einmal bewege mir Alles anzuvertrauen. Vergessen Sie nur die Tagebücher, das Scripturenbündel, welches die poetischen Versuche enthält, und die an Sie gerichteten Briefe nicht, aus welchen letzteren Sie Auszüge machen wollten! An Hrn. Jansen schreibe ich dieser Tage; ich habe meine Antwort aufsparen wollen, bis ich seine Freund-|3|lichkeit mit Gegendiensten erwidern zu können glaubte. Das wird mir nun schwer, da ich ihm die gewünschten Excerpte nicht anfertigen kann. Vielleicht belohnen Sie seinen Opfermut und seine Anhänglichkeit mit einigen Zuccalmaglios. Ich will ihn wenigstens damit trösten, daß ich <es> ihm verspreche nach Kräften für sein Unternehmen zu wirken, wenn ich dieses selbst auch für wenig belangreich halte. Erst wenn die Sonne scheint, wird es hell auf dem Planeten. Als Appendix zu einer erschöpfenden Schumann-Biographie wäre seine Studie ganz am Platze.
Auch draußen hat die Sonne sich wieder ihrer armen vernebelten und durchweichten Erde erbarmt, und ich hoffe noch auf einige helle Sommertage für Sie. Es hat mir sehr leid gethan, daß Sie es in Tirol so ungünstig getroffen haben. Mir ist es bei dem beständigen Witterungswechsel auch abscheulich gegangen, |4| und ich belle seit 14 Tagen meine Wände an wie ein alter Hüttenhund. Doch nun schlägt mein Bureaustündlein, und ich muß wieder ins Joch. Das Redigiren wünsche ich täglich zehnmal in den Orkus, wo es auch hingehört. Hätten die alten Griechen Zeitungen gekannt, so würden ihre Dichter sicherlich einen gestürzten Titanen dazu verdammt haben, täglich eine Beilage heraus zu geben. Man ist am Abend immer nur für Einen Tag fertig, und jeden Morgen geht der beschwerliche Tanz von Neuem los. Die reine Sisyphus-Arbeit . . „hurtig mit Donnergepolter entrollt mir der tückische Marmor“.
Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlergehen und der Bitte mich Ihren Fräulein Töchtern und Herrn Wieck freundlich zu empfehlen in Verehrung
Ihr
ehrfurchtsvoll ergebener
Max Kalbeck

Hochverehrte Frau!
Ihre Sendung ist glücklich hier eingetroffen und enthält sehr viel Interessantes. Was ich an freier Zeit erübrigen kann, widme ich fast ausschließlich unseren Manuscripten. Eine Veränderung in der Technik unserer Zeitung – wir wollen die Beilage aufgeben und nur mit einem Feuilleton unter dem Strich im Hauptblatte erscheinen – steht nahe bevor und wird mir ein Drittel meiner Arbeitslast abnehmen. Alsdenn hoffe ich es so einzurichten, daß ich wenigstens die Vormittage für mich behalte. Die Correspondenzbände werde ich auf alle Fälle durchsehen und |2| meinen nächsten Urlaub dazu benutzen, um ein Paar Wochen bei Ihnen zuzubringen. Bei dieser Gelegenheit will ich mir auch Mühe geben die Lücken in den Abschriften zu ergänzen. Schumanns Handschrift ist zwar beinahe ebenso schwer zu entziffern wie die des alten Christian Günther; wenn man sich aber hineingelesen hat, so geht es von Zeile zu Zeile besser. Ein Blick enthüllt da mehr als alles grüblerische Deuteln und Blinzeln.
Die Aufsätze über den Wiener Aufenthalt haben allgemein angesprochen und dadurch große Verbreitung gefunden, daß sie von zwei Zeitungen, der Breslauer u. der Elberfelder nachgedruckt worden sind. Und doch war eigentlich wenig Neues darin. U. a. hat mir auch Prof. Spitta brieflich seine Anerkennung ausgesprochen. |3| Wenn Sie beifolgendem Büchlein eine freundliche Aufnahme gönnen wollen, werden Sie, hochgeehrte Frau, von Herzen erfreuen
Ihren
ganz ergebenen
Max Kalbeck


  Absender: Kalbeck, Max (785)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
631

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 4,57
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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