Leipzig, den 20. December 1890.
Hochzuverehrende Frau!
Ew. Hochwohlgeboren wollen gütigst gestatten, mich in einer vielleicht auch Ihr Interesse ein klein wenig in Anspruch nehmenden Angelegenheit an Sie wenden zu dürfen: Von jeher an dem Leipziger Musikleben warmen Antheil nehmend, habe ich, nachdem ich kürzlich nach 17 jährigem Aufenthalt in Dresden wieder nach meiner Vaterstadt Leipzig versetzt worden bin, beschlossen, in dem Restaurant zum „Kaffeebaum“ auf der hiesigen Fleischergasse, in welchem Ihr seliger Herr Gemahl so häufig und gern verkehrte, eine Erinnerungstafel anbringen zu lassen. Herr D. Alfred Dörffel, der ja den Erinnerungen an die Davidsbündlerzeit noch sehr nahe steht, hat mit dem Enthusiasmus, welcher ihm in gleichem Maße wie mir für die künstlerische und menschliche Persönlichkeit Robert Schumanns eigen ist, diesen Gedanken gutgeheißen, und ich habe ihn auch gebeten, mir wegen einer passenden Inschrift Vorschläge zu machen. Das Restaurant „Kaffeebaum“ befindet sich mitsammt seiner „Schumannecke“ noch in genau demselben Zustande wie zur Davidsbündlerzeit, soll also die Erinnerungstafel stilvoll sein, so muß sie zu dem völlig anspruchlosen Inneren der Gaststube passen. D. Dörffel und ich halten es für am Geeignetsten, in die Tafel ein Medaillonporträt Ihres Herrn Gemahls, von Arabesken umgeben – welche er sehr geliebt haben soll – anbringen zu lassen und die Tafel mit einer passenden Inschrift zu versehen. Sie, hochzuverehrende Frau, würden nun als die erste Kennerin des Lebens Ihres Herrn Gemahls auch gewiß vor allen Anderen in der Lage sein, mir mitzutheilen, ob etwa – nach Maßgabe Ihrer eigenen Erfahrungen – irgend eine bestimmte Beziehung Robert Schumanns zum „Kaffeebaum“ bei der Wahl der Inschrift in Betracht kommen könnte. Das Jansen’sche Buch „Die Davidsbündler“ giebt mir doch nicht völlig genügenden Aufschluß. Namentlich ersieht man daraus nicht, ob etwa bestimmte Persönlichkeiten der Tafelrunde, z. B. D. med. Reuter († 1853) ihm den Besuch des „Kaffeebaum“ besonders anziehend machten. Und doch dürfte es bei der Wahl einer Inschrift für die Tafel nicht unpassend sein, auch der Umgebung, in welcher sich Robert Schumann im „Kaffeebaum“ besonders wohl fühlte, wenigstens den Namen nach zu gedenken. Meine Bitte an Sie, hochzuverehrende Frau, geht also dahin, mir dasjenige, was in dem Jansen’schen Buche über die Beziehungen Robert Schumanns zum „Kaffeebaum“ nicht steht, Ihnen aber etwa noch erinnerlich sein sollte und bei der Wahl der Inschrift in Frage kommen könnte, geneigtest mitzutheilen. Für eine gemüthvolle Inschrift dürften Sie als die theure Lebensgefährtin Robert Schumann’s vor Allen die sicherste Empfindung haben. Ich gestehe offen, daß mir die um das Medaillonporträt zu setzenden Worten „Hier verkehrte Robert Schumann in den Jahren 1830 bis 40 regelmäßig und gern kehrte er hierher auch später, selbst nach seiner Uebersiedlung nach Dresden, zurück“ (natürlich nur dem Sinne nach hier wiedergegeben) gar zu einfach erscheinen würden, ich möchte gern eine gemüthlich etwas ansprechendere Inschrift haben, und Sie, hochzuverehrende Frau, würden mir einen Gedanken, welcher – als von Ihnen zu dem in Rede stehenden Zweck ausgehend – doppelt werthvoll sein würde, vielleicht zu geben in der Lage sein.
Sollten Sie, hochzuverehrende Frau, Ihren hiesigen Verehrern durch ein hoffentlich recht baldiges Auftreten in unseren Gewandhausconcerten erfreuen, so würde ich mich glücklich schätzen, Ihnen mündlich über die Ausführung meines Planes referiren und etwa Ew. Hochwohlgeboren die hoffentlich bald angebrachte Erinnerungstafel persönlich zeigen zu dürfen. Auch brauche ich wohl kaum hinzuzufügen, daß ich, da mir die starke Inanspruchnahme Ihrer Zeit sehr wohl bekannt ist, einen längeren Brief zur Antwort zu erhalten mich nicht für berechtigt halte, sondern daß ich mit einem kurzen brieflichen Vorschlag für die Inschrift mich reich belohnt erachten würde. Indem ich mir noch erlaube, ergebenste Empfehlungen von Herrn D. Dörffel und Herrn Concertmeister Ruppert Becker in Dresden, mit welchem ich mehrere Male musicirt habe, beizufügen, zeichne ich
in aufrichtiger Verehrung
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster
Amtsrichter D. Arthur Kind