23.01.2024

Briefe



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ID: 19468
Geschrieben am: Montag 20.09.1852
 

Schlangenbad d. 20 Sept. 1852.

Wirst, oder willst Du Dich meiner noch erinnern, meine theure Clara? Es ist lange, lange her, daß wir nichts von einander gehört haben, aber trotz Zeit und Raum, trotz der mancher, wunderbarer Geschicke, die mich betroffen, ist Dein Andenken mit aller Frische in meiner Seele zurückgeblieben, und oft habe ich Deiner gedacht, oft von Dir und Deinem Mann gesprochen. Wie könnte man auch Euch vergessen, die Ihr stets im geistigen Raport mit denen sein werdet, die Euch verstehen, wenigstens den Glauben haben, Euch zu verstehen. Statt dieses Blattes, wäre ich schon längst selbst gekommen, meine Clara, um mich in Deinem Gedächtniß anzufrischen, aber der leidende Gesundheitszustand einer lieben Schwester, die ich nach Ems und hierher begleitet habe, wird mich noch einige Zeit hier fesseln. Wie sehr hatte ich mich darauf gefreut, Dich zu sehen, und mich einmal wieder |2| mit Dir über Manches und Vieles auszuplaudern. Diese Hoffnung gebe ich auch durchaus nicht auf, ja es ist sogar zum
festen Entschluss geworden, Dich, so bald als möglich in Düsseldorf zu besuchen. Ich erwarte meinen Mann aus Rußland zurück und habe ihm ein rendez-vous in Cöln gegeben und wollte nun, bevor er kommt, auf ein paar Tage nach Düsseldorf, um Dich zu besuchen. Darf ich nun, da ich jetzt gleich noch nicht kommen kann, eine recht große Bitte an Dich wagen? In der Voraussetzung daß ich schon Anfang Sept. in Düsseldorf sein würde, habe ich meinen Mann gebeten, mir seine Briefe poste restante dorthin zu senden. Nun habe ich zwar schon vor mehreren Tagen an das Kögl. Postamt geschrieben, und meine Briefe hierher zu senden ersucht, habe aber bis jetzt noch nichts erhalten, was mich in große Besorgniß versetzt. Würdest Du wohl so gut und freundlich sein, auf der Post nachzufragen, ob nicht etwa Briefe dort auf mich warten, und für diesen wahrscheinlichen Fall Ordres geben, daß sie mir sogleich hierher gesendet werden? Du würdest mich sehr, sehr verpflichten, meine gute Clara, wenn Du diesen Gang für mich thun wolltest! Es ist wohl keine |3| anmaßende
Voraussetzung wenn ich darauf rechne daß Du mir ein freundliches Wort, und zwar recht bald schreibst, denn das längere Ausbleiben der Nachrichten, die ich so sehnlichst erwarte, machen mich mehr als besorgt, und Niemand wird meine Angst und Sorge mehr begreifen und nachfühlen können als Du, die es wohl kaum ertragen würde, ein halbes Jahr von dem geliebten Mann getrennt sein zu müssen. Wenn Du mir schreibst – und Du wirst mir gewiß gleich schreiben – dann sage mir doch, ob nicht auch vielleicht bei Dir Jemand nach mir gefragt hat, denn es ist leicht möglich daß mein Mann mir einen Brief durch Privatgelegenheit hat zukommen lassen wollen. – Was hätten wir uns nicht Alles zu erzählen und was ist in dem Zeitraum, wo wir uns nicht gesehen, alles an uns vorübergegangen! Und die alte Welt steht noch immer, obgleich man oft glaubt, sie müsse in Trümmer zerfallen! Nun, ich werde Dich bald sehen, und da wollen wir plaudern, von Vergangenheit und Zukunft und klagen, klagen über die trübe, schwere Gegenwart. – Diese Zeilen treffen Dich, den Mann, die |4| Kinder – wie viel sind es jetzt? – hoffentlich wohl und munter; nimm sie freundlich auf, sie bringen Dir ein ungeändert inniges Gefühl, tausend herzliche Grüße an den Mann, und eine Umarmung von Deiner, in treuer Anhänglichkeit Dir ergebenen
Wilhelmine Bock.
Schröder Devrient.

Schreibe gleich, bitte, bitte!
Meine Adresse. Frau W. von Bock.
Schlangenbad im Kurhaus.

  Absender: Schröder-Devrient, Wilhelmine, in 3. Ehe verh. Bock, Wilhelmine (1405)
  Absendeort: Schlangenbad
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
444ff.

  Standort/Quelle:*) GB-Ob, s: Ms. M. Deneke Mendelssohn c. 1, fols. 147-148; Abschrift in D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,107
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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