Passy d. 21 Novb. 1852.
Theure Clara!
So hat mich meine bange Besorgniß um dich nicht getäuscht – du bist krank, leidend und zwar wohl bedeutender, als du mir sagst, denn wenn Du dich erst zu Bette legst, dann muß es wirklich schon sehr schlimm sein! Warum ist das fliegen nicht schon erfunden! wie hätte ich mich da gleich auf den Weg zu dir gemacht, um dir beizustehen, dich zu trösten, dich auf den Händen zu tragen, Du gutes, liebenswerthes Geschöpf, das jeder Aufopferung, jeder Selbstverleugnung, kurz der ganzen Liebe eines warmen, uneigennützigen Herzens so werth ist! Möchtest du doch eine Freundin dort haben, die dir in dem Sinn, wie ich es meine und thun würde, zur Seite steht, denn auf Domestiken kann man sich nicht verlassen und ein Mann, auch der Beste – und gern will ich Deinen Robert dazu nehmen – verstehen es nicht, Krankenwärter zu sein; sie sind viel zu bequem, viel zu sehr Egoisten und meinen, nur ihnen könne etwas fehlen, verstehen es aber sehr gut, sich warten und pflegen zu lassen und mich wundert nur daß sie die Sitte meines wilden Völkerstammes noch nicht eingeführt haben, wo, wenn die Frau in die Wochen kommt, der Mann sich zu Bette legt und das arme Weib an die harte Arbeit muß. Gott gebe daß du dich recht bald wieder erholst! Schone Dich nur recht und muthe deiner glücklichen Natur, die dich allerdings bisher nicht verlassen hat, nicht zu viel zu; es rächt sich früh oder später doch und Du bist für so viele und Dir so theure Geschöpfe so ganz unentbehrlich. Schone dich, und zwar in jeder Hinsicht. Ich war auch wieder sehr unwohl und habe nicht nur mit meinem Körper, sondern auch gegen meine tiefe, moralische Verstimmung anzukämpfen, die ihren Grund in tausend Ursachen hat. Das Leben ist nun einmal ein ewiger Kampf gegen uns wiederstreitenden Mächten, die wir manchmal besiegen, öfter ihnen aber erliegen. Ich komme mit tiefen, kaum noch verharschten Wunden aus diesen Kämpfen und wünschte wohl daß mir keine neuen mehr auferlegt würden, denn ich fühle, daß ich ihnen keinen Kampf mehr entgegensetzen kann, matt u erschöpft bin und mich mit der ganzen Macht meiner Seele, nach Ruhe sehne. Aber es giebt Menschen denen dieses Ziel ewig unerreichbar bleiben soll, und unter denen gehöre ich! Was einen großen Theil meiner Verstimmung ausmacht ist: daß ich zu keiner äußeren Ruhe kommen kann, worunter ich eine behagliche Häuslichkeit verstehe; Ordnung und Gleichmäßigkeit in dem täglichen Leben, zuverlässige und treu ergebene Diener, alles Sachen die, wenigstens mir, eine große Nothwendigkeit sind, um zur inneren Gleichmäßigkeit und Ordnung zu kommen. Diese äußere Ruhe zu gewinnen will mir gar nicht gelingen, denn seit 6 Jahren führe ich ein unstättes Leben, ohne eigentlich Heimath und das macht mich krank und verstimmt und diese Verstimmung wird eben durch den Gedanken erhöht: daß für jetzt und die nächste Zukunft an eine eigentliche Heimath und Häuslichkeit, für mich nicht zu denken ist, ach! und die thäte mir so wohl! Zudem gefalle ich mir diesmal gar nicht hier in Paris und das Unglück hat es gewollt, daß wir éauch nochù mit unserer Wohnung sehr schlecht angekommen sind. So kommt Eins zum Anderen, um mich recht, recht verdrießlich zu machen. Mein Mann hat seine <C>chemischen Studien wieder aufgenommen, geht des Morgens um halb 9 Uhr aus dem Hause und kommt erst um 6 Uhr Abends wieder heim, wo er dann gewöhnlich so müde und abgespannt ist, daß ich auch nicht mehr viel von ihm habe. So sitze ich denn recht viel allein, ganz allein, denn da wir weit von der Stadt wohnen, so kann ich die wenigen Bekannten die ich habe, nicht oft sehen. Da schwirrt mir dann in meiner Einsamkeit gar manches im Kopfe herum meine Clara und wenn ich so ganz allein im nächsten Park oder im nahe gelegenen Wäldchen umherwandele, da füllen sich mir Brust und Herz mit tausendfachen Gefühlen und wunderbare Gedanken steigen mir zu Kopf über das Seltsame unseres Daseins und all diese Gefühle, all diese Gedanken, laufen endlich in die eine Frage aus: warum? Kennst Du Heine’s herrliches Gedicht, was auf eine ähnliche Frage mit den Worten endet: und ein Narr wartet auf Antwort!? – Ich bin für den Augenblick tief in die Prosa des Lebens gerathen was eine große Abgespanntheit und Schlaffheit über mich gebracht hat, denn ich habe weder Muth noch Energie etwas Tüchtiges und Thatkräftiges zu unternehmen, doch hoffe ich, soll dieser Zustand eben nur für den Augenblick währen; wo aber später einen Anknüpfungspunkt finden, weiß ich für jetzt nicht zu sagen, denn das Leben und Treiben hier, sagt mir so nach keiner Richtung hin zu, daß es eben schwer werden wird, eine Ausweg zu finden, auf dem man mit frischem Muth und Freudigkeit weiterschreiten möchte. é Meiner Kunst möchte ich noch nicht gerne entsagen, so lange ich wenigstens noch Seelen finde, die mich in meinen Tönen verstehen; blicke ich aber hier um mich, sehe das seichte, oberflächliche Treiben, den gänzlichen Mangel der Fähigkeit, ein tiefes, wahres Gefühl zu begreifen, dann frage ich mich: was willst du hier mit deinen Liedern? und ängstlich preßt sich mein Herz zusammen und meine Töne schweigen. Ich habe bis jetzt noch nicht viel hier gehört, denn es giebt nicht zu hören, aber das Wenige war mit geringen Ausnahmen, für die Kunst – ich meine für unsere Muse – trostlos genug. In der Hillerschen Matinée trug er nur Sachen von sich vor, piano allein und dann mit Violine und Cello begleitet. Einige Sachen waren gefällig und graziös und mit großer Gewandheit gearbeitet, jedoch ohne Tiefe und eingreifendes Gefühl, ganz für den pariser Salon. Eine freie Phantasie über gegebene Temas, wo Beethoven, Mozart und – Meyerbeer sich herumzausten, war gänzlich mißlungen; wenigstens nach meinem Gefühl. Ueber Halevy’s „reizende" Jüdin kann ich Dir nur so viel sagen: daß ich und mein Mann den Gähnkrampf bekamen, und in Mitten des 4 Actes fortgingen, denn wir konnten diesen Unsinn und diese Langeweile nicht mehr aushalten. O Gott, wohin ist es mit der heiligen Kunst gekommen! Aller Teufel ist in diesem Machwerk losgelassen. Decorationen, Aufzüge, Kostum’s, bengalische Feuer, Pulverexplosionen sind von einer schlechten, geistlosen, zusammengestopselten Musik begleitet und je ärger die Sänger diese Musik schreien und brüllen, desto mehr wird aplaudirt. Und nun noch das Sujet! Unsinn, nichts als Unsinn, alles um die eben genannten Sachen anzubringen. Ja, dabei müssen Kunst und Künstler untergehen!
d. 23.t.
Ich wurde neulich unterbrochen, meine gute Clara und nun liegen 2 Tage zwischen Anfang und Ende dieses Briefes, die ich leider wieder sehr unwohl zugebracht habe, woran unsere abscheuliche Wohnung Schuld ist, die für den Sommer ganz allerliebst sein mag, aber für die jetzige Jahreszeit, wo es kalt und regnerisch wird, fast unbewohnbar ist, wenigstens für uns Deutsche, die wir an gute Öfen gewöhnt sind und uns mit rauchenden Kaminen nicht befreunden können, wo es vom Schornstein in’s Feuer hinein regnet, wie es eben bei mir der Fall ist. Kurz, es ist doch in Deutschland auch manches recht Gute! Das schlechte Wetter hat uns abgehalten heute nach der Stadt zu fahren, zumal wir alle Beide nicht ganz wohl sind, sonst hätte ich diesen Zeilen noch einen musikalischen Bericht beifügen können, denn wir hatten eigentlich die Absicht die erste Aufführung der Oper: Luisa Miller, welche heute von dem Italiäner gegeben wird, mit anzusehen. Das Sujet ist Schiller’s „Kabale und Liebe“ entlehnt und die Musik <ist> von Verdi. Auf dieses Machwerk bin ich wirklich neugierig; eine so grunddeutsche, sentimental<e>--bürgerliche<n> Handlung zu einer italienischen Oper, mit Chören und sonstigem Specktakel zugestützt, muß wirklich ganz possirlich sein. Ich werde dir berichten, wenn ich dieses Curiosum gehört habe. Als neulich dein Brief kam, hatte mein Mann schon die einliegenden Zeilen in der Tasche, um sie zur Post zu bringen; ich lege sie nur darum bei, damit du siehst, daß ich an dich gedacht. Und nun will ich für heute schließen, damit der Brief fort kommt. Du schreibst mir doch auch recht bald einmal wieder? Freilich nur dann, wenn es Dich gar keine Anstrengung mehr kostet, denn <um> sonst wäre die Freude, die mir deine Briefe machen, zu theuer erkauft. Mein Mann sendet dir und deinem Gatten seine besten Grüße. Von mir noch die Mahnung an Robert: daß er dich recht, recht pflegen soll, denn nur dann kann er auch auf das freundlichste Gesicht von mir rechnen, was ich hervorzubringen im Stande bin. Leb wohl meine Clara! Du mußt wissen, daß Dich mit aller Liebe ans Herz drückt
Deine Wilhelmine
Die 500 sind zwar ganz glücklich angekommen aber das hiesige Klima bekommt ihnen nicht; sie leiden bedeutend an der „Schwindsucht“! Vergiß nicht auch Dr Müller wieder meinen Gruß zu sagen.
Beilage]
Passy d. 17 Nov. 1852.
Meine theure Clara!
Vor etwa 4 Wochen, bald nach unserer Ankunft hier, schrieb ich an Dich und [war] so frei dem Briefe einen kleinen Modetand beizufügen, der Dir nur ein Beweis sein sollte, daß auch bei dem prosaischen Geschäft des Hutaussuchens, meine Gedanken bei Dir waren, Du mir in Deiner ganzen, lieben Eigenthümlichkeit vorschwebtest, und aus dem, Dir übersendeten Hut, mir Dein Antlitz entgegenschaute, da Stoff, Farben und Blumen zu Dir zu passen schienen. Damals bat ich Dich auch, mir recht bald zu schreiben, worauf ich mich so sehr gefreut hatte, daß Du es thun würdest, aber leider warte ich bis heute vergebens auf ein Zeichen von Dir, und nun überkommt mich die Sorge: Du möchtest krank sein, oder mit der Gesundheit Deines Mannes ginge es |2| nicht gut. Schreibe mir gute Clara, wenn auch nur wenige Zeilen, damit ich weiß, wie es Dir und Deinem Robert geht. Du mußt von der Innigkeit meiner Theilnahme für Dich und Dein Geschick überzeugt sein, und darum wirst Du mir auch nun gewiß recht bald Nachricht geben. Gern würde ich noch weiter mit Dir plaudern, würde Dir von einer Hiller’schen Matinée, von einer Halevyschen Oper sprechen, wüßte ich, ob diese Zeilen Dich in der Stimmung träfen, so etwas anzuhören. Ich eile daher für heute zum Schluß und wiederhole nur die dringende Bitte: schreibe mir gleich! Wir denken Eurer mit aufrichtiger Liebe und voll Liebe und Aufrichtigkeit sind auch die Grüße die mein Mann und ich Euch senden.
Für Dich noch eine Umarmung von Deiner
treu ergebenen
Wilhelmine Bock.
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