23.01.2024

Briefe



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ID: 19503
Geschrieben am: Freitag 29.07.1859
 

P. R. Notwyl.
Ct. Luzern.

Tannenfels. 29 July. 1859.

4 Stunden von Luzern
35 min: Eisenbahn (Luzern–Basel) –
noch bei Sursee, gegenüber Sempach

Ja, so ist es auch allgemein, liebe Frau Schumann! Nach der Kur, keine Tour! Vierzehn Tage müßen Sie sich gönnen! Ich wollte ich könnte sagen: nach Tannenfels sollen Sie zu dem Zwecke reisen, aber du lieber Himmel, ich bin nicht Herr im Schloß! Hier liebt man die Pfarrer gar zu gerne! Der aus Colmar ist schon hier gewesen, u. glücklich Gestern abgereist; aber sobald mein Bruder Emile von der Schule kommt, wird auch sein geistlicher Herr Lehrer angestiefelt kommen u. da wir schon neun im Hause sind giebt es eilf vom 15 August an, gerade die Zeit, nach meiner |2| Rechnung wo Sie Ihre 27 Bäder werden genommen haben, nicht wahr? Es ist zum toll werden! Ich hatte in Zürich vor 4 Tagen einen Sprecher (-Flügel) bestellt; vom 3 August wird er hier sein u. ich hätte mich unendlich gefreut wenn Sie ihn 14 Tage lang hätten hier im Panorama-Salon gespielt!
Nun, alle Hoffnung ist nicht verloren! Schreiben Sie mir aber bitte umgehend, liebe Frau Schumann an welchem Tage Sie Wildbad verlaßen wollen. Ich richte mich dann neu, u. ist es unmöglich Sie hier zu haben, so miethe ich (wenn Sie einverstanden sind) am Luzerner See, |3| in Tivoli, ein reizend gelegenes Haus, ┌u. billig┐ mit Seebad, ein logie für Sie! Sie haben dann nur zu befehlen, ich komme so oft es mir möglich ist. Würde Ihnen der Arzt nicht erlauben im Kalt-Bad (Rigi) 14 Tage in schöner Luft, geschützt von West u Nord Wind, zuzubringen? Mein jüngster Bruder ist so gewachsen dieses Jahr daß sein [???] gänzlich zerstört u. der Arzt hat Rigi Luft, kaltes Wasser ┌bloß┐ 4 Grad warm, befohlen; auch ächte Molken ist zu haben, eine sehr erfrischende Kur nach Wildbad. Mein Bruder kommt am 8.A. an; am 10.ten. Aug. will ┌ich┐ ihn nach Rigi begleiten u. wo möglich die 3 Wochen die ihm verschrieben bei ihm bleiben. Wenn Sie am 15 od. 20. kommen dürfen, verbringen wir die ganze|4| Zeit zusammen, u. spazieren dann aus Oberland über den Brünig von Luzern aus.
Bringen Sie aber gefälligst ein Ränzchen (havresac) mit! Zwei sind hier zu haben! A propos: Kirchner habe ich in Winterthur gesehen; er half mir in Zürich mein Clavier aussuchen; er kann nicht begreifen warum Sie gar nichts mehr von sich hören laßen, u. Ihre Reise-Pläne geändert. Ich sagte Sie würden an den Luzerner See kommen, in unsere Nähe. Das wird hoffentlich auch werden! Heute war ich um halb fünf (4½) ┌früh┐ im Walde, 100 Schritte über dem Hause; unten lag der Sempacher See, drin spiegelt sich bald die Sonne. Die Kette der Alpen von Wetter – u. Schreckhörner┌(Ct. Bern)┐ an bis zum hohen Säntis (alpenzell) glänzte von den ersten Strahlen getroffen |5| Wie eine Reihe geharnischter Männer; die Thäler von den Vorposten Rigi u. Pilatus geschützt lagen in tiefster Ruh’ u. im Walde die geheimnißvolle Stelle der Nacht! Es war zum niederknien! Kein Lüftchen wehte! Hier u. da regte sich ein Vögelchen, ein riesiges Bienchen! Wie aber die Sonne auch unsere Hügel begrüßte wurde der Schwarm der Insecten die am Saum des Waldes umher summen auch rege u. bald war alles lebendig! Wer weiß ob Morgen das Wetter so schön, so warm! Gebe es Gott! O Sommer, schöner Sommer! Wie ist die Welt so breit! – – Von Ihrem lieben, einzigen Liebling |6| habe ich wieder schönes kennen gelernt<>! Welch ein Schatz! Meinem Bruder brachte ich von Zürich die B a c h Fugen mit, u. für mich u. Adèle einen Stoß Lieder. Sogar der Pfarer der eine Tenor Stimme hat mußte die Spanischen Liebeslieder singen, noch Rückerts Frühling! Alles war entzückt! Der Fluthenreiche Ebro (4 Händig) „Also lieb’ ich Euch geliebte“) „Schön ist das Fest des Lenzes“, das letzte Quartett „dich lieb ich wie du mich“ hatten ganz besonderen Beifall u. ich lachte recht herzlich über Papa’s Zopf der wieder zu grünen scheint.
Nun Adieu, Grüßen Sie herzlich die liebe Umgebung u. schreiben Sie bitte gleich ’was über die nachste [sic] Zukunft Ihrem ergebenen Vereherer u. Freund
Stockhausen

Alle Tannenfelser wollen Ihnen Grüße zukommen laßen was eigentlich einen ganzen Bogen ausmachte! – An Frege schrieb ich von Paris aus u. erhielt Gestern Antwort. Frl. Marie Mendelssohn ist Braut mit einem H. Benecke in London. Von Joachim habe ich auch Brief bekommen, er ärgert sich immer noch über L. Napoleon.

  Absender: Stockhausen, Julius (1547)
  Absendeort: Tannenfels
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
531 - 535

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,274
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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