Paris, 3 July. 1860.
Liebe Frau Schumann!
Hier sitze ich noch und habe meine Effecte nicht bekommen, Cordonnier
und chemisier2
sind gens sans parole.3
Aufrichtig gesagt ist es aber ein
Glück denn ich habe meine Bekannten noch lange nicht alle aufgesucht
und brauche noch mehrere Tage dazu; ich hoffte aber Donnerstag um 5
Uhr abreisen zu können u wäre sodann Freitag früh in in◊1 Kreuznach
gewesen4
aber vor Samstag wird es schwer zu machen seyn; Gouvy5
habe
ich auch versprochen ihn zu besuchen, also |2| ist mein Kommen noch
verspätet u kann nichts Bestimmtes darüber berichten. Doch bitte ich Sie,
liebe Frau Schumann, die Güte haben zu wollen bei Trautwein’s6
zu berichten oder vielmehr berichten zu lassen daß ich das Logis als das Meine
vom 1. July an betrachte. –
Heute wurde der Onkel (Jerome Bonaparte) der ex-König von Westphalen &c &c &c &c &c &c &c begraben, es war ein großartiger Zug u
Sie hätten die ganze Pariser Garnison, circa 45 000 Mann zu Fuß u zu
Pferd sehn können.7
Doch gratuliren Sie sich daß Sie es nicht mit angesehn haben. |3| Danken Sie Ihrem gütigen Gott daß Sie ruhig mit den
Ihrigen in †nach sind! Seit Gestern ist es hier warm geworden, u der Staub
flog Heute in aller Früh in der <>Luft herum so zahlreich war die Menschenmenge! Es war wirklich beängstigend u man mußte seine 5 Sinne
zusammen nehmen.
Gestern speiste ich mit Herrn Goeschen8
Frl. Charlotte u Frl Fanny u
Stephen Heller,9
ich dachte oft Ihrer u wünschte Sie im kleinen Comité als
siebte im Bunde zu sehn! Nach Tisch spazirten wir hinaus in die Champs
Elysées zu Musard10 wo viel fashionable Welt sich Abends versammelt u
hörten Musik mit Accompagnement |4| von Gläser-Geklirr! Der Mond
gieng mit, die Luft wurde kühl! Es war ein herrlicher Abend! Der erste Sommerabend im Jahre 1860. Die älteste Tochter des H. G.11 hat die
Institutrice12 kürzlich nach †nach gebracht, blieb aber nur einen Tag dort,
haben Sie sie zufällig begegnet?13 Sie wußte nichts von Ihrem Dortseyn.
Ich hatte gerne wieder Nachricht von Ihnen gehabt u vernommen
daß es Ihnen besser geht,14 dass Sie weniger schwermüthig u recht dankbar
dem Schöpfer sind für Alles Schöne u Gute was Ihnen geblieben. O! daß
Sie das recht erwägen wollten eh’ Sie sich <> grämen. Wie schön die Welt,
wie schön die Kunst wie schön die ewige Harmonie! wie schön die Liebe
3. Juli 1860 543
zu den Kindern u die gegenliebe der Kinder15 Wie gut, wie unentbehrlich
& wohlthuend die Freundschaft nach langen, langen Schmerzensjahren.16
Nicht Sie allein haben das ◊2gemacht liebe Künstlerin; es giebt noch Argeres: es ist eben so hart 8 Jahre lang unglücklich lieben u zuletzt hören
müßen: wir müßen scheiden.17 Adieu! – Ja es ist noch härter als geliebt
seyn u mit 7 gesunden Kindern von Erinnerungen leben! Sie haben noch
ein schönes Loos u sollen sich freuen u dankbar seyn! u das wird Sie heben, Ihnen Muth geben u Sie wieder gesund machen! Glauben Sie’s Ihrem
treuen Freund Stockhausen
◊3Mit vielen vielen Grüßen an die lieben Ihrigen.
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