Vitznau, bei Weggis
Canton Luzern. 27 July.
Liebe Frau Schumann,
Und wenn es nur zwei Zeilen sind, (mehr kann ich heute nicht schreiben,) so sollen Sie erfahren wo wir sind. Es könnte Sie ja doch die Lust anwandeln zu wandern, wüßten aber nicht den Weg zu uns, und wir kämen zu kurz.|2| Vitznau haben Sie oft von Kaltbad unten liegen sehn. Sie wißen, die hübsche Kirche an einer Bucht, unmittelbar bevor man die Nasen erreicht, links, am See, fast am See, mit schattigen Obstgärten, Feigen, Trauben[,] Apricosen im Freien. Ein mildes, ja warmes Clima; die Morgen u Abende kühl, warme Seebäder, gute Milch, was will man mehr für |3| Klein u Groß? – Der neue Gasthof (Pension Pfyffer) wo wir wohnen fasst 60 Betten. Dank, tausend Dank für Ihren lieben Brief. Wenn er auch Gestern am 26 erst kam, er hat mir bewiesen daß Sie an mich dachten. Den Geburtstag haben wir hier mit den Schülern u den beiden Kirchner’s, Vater u Sohn, gefeiert. Theodor, brachte mir Schumann’s 4te Symphonie Manuscript; Vater Kirchner hatte ein Gedicht verfertigt. Als ich Theodor fragte wie er |4| sich von solchem Schatz trennen konnte sagte er: „beßer es kommt in deine Hände als in die meiner Erben.“ Mich tröstete der Gedanke er habe sie im Kopf u brauche sie nicht mehr. Schade daß er eigentlich an Nichts mehr hängt. Wie das Andenken mich gefreut hat, brauche ich wohl nicht zu sagen. Kirchner ist nach Frankfurt gereist. Er hat für den Winter Kammermusiksoiréen dort vor. Herrn N. Schlumberger traf ich auf dem Rigiweg vor 8 Tagen. Er schien ganz wohl u vernünftig. Er war mit seinem Bruder Heinrich. Seine Frau ist in Divonne.
Adieu! Meine liebe Frau grüsst herzlich u freut sich sehr auf ein Wiedersehn.
Ihr Sänger.
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