Colmar. 8. Januar 1862.
Liebe Frau Schumann,
Ich weiß wahrlich nicht wo Sie dieser Brief finden wird, aber ich höre daß Sie in Cöln zum Faust Concert sich einfinden wollen; mein Bruder Franz schrieb es mir aus Leipzig, und so hoffe ich wenn ich ihn nach Düsseldorf addressire daß er Ihnen bald zukommt. Nun hatte ich mich recht gefreut Ihnen einen ausführlichen Brief zu schreiben, viel zu erzählen über mein geschäftiges Leben im Elsass, aber die Cölner treiben es arg mit mir! Sie wechseln jede Woche |2| ihr Programm u nachdem sie den ganzen Faust geben wollten schreibt Hiller es ginge nicht an: das Comité würde nie auf meine Lieder verzichten, u die Musik dauere über 2 Stunden u.s.w. Ich hatte aber für den ganzen Faust zugesagt u telegraphirte gestern „Tout ou rien.“ Und Heute antwortet Cöln es ließe sich nichts am Programm ändern. Ich aber auch antworte u zwar ich käme nur zum ganzen Faust: nicht zu Fragmente u nun weiß Gott was daraus werden soll. Das bringt mich in solche Unruhe daß ich nicht |3| mehr recht schreiben u denken kann. Warum so wankelmüthig seyn? Wenn man Orchester, Chor, Solisten und Saal hat, warum soll man das ganze Werk nicht geben? Ich habe telegraphisch gesagt es schade dem Werk zu sehr, u es ist auch so: Fragmente haben nie einem Werk gut gethan, u Faust ist nun einmal das bedeutendste Werk der Gegenwart u wird es noch lange bleiben! Warum soll ich dazu helfen es unvollständig aufzuführen? Wer dazu beitragen kann es dem Publicum würdig vorzuführen der soll es thun nicht aber umgekehrt. Nun fürchte ich die Herrn telegraphiren so recht undeutlich zurück u |4| lassen dann die Hälfte aus! Ich bin außer mir über diese bornirtheit! – Sie sollen doch den 3ten Theil allein geben u ohne mich. Was brauchen Sie mich dazu! Nun werde ich böse, u die Post geht ab u ich habe Ihnen noch nicht gesagt daß wir Sie in Guebwiller haben möchten zwischen den beiden Basler Concerten! Wollen Sie? Wir begleiten Ihnen das G moll Concert von Mendelssohn mit Orchester! Sie sollen zufrieden seyn! Schreiben Sie bald zwei Worte u entschuldigen Sie schließlich daß ich mich nicht entschuldige bisher nicht geschrieben zu haben! Ich dachte ganz einfach ich wolle sehn wie lange es meine drei deutschen Freunde <es> ohne meinen Brief aushalten! Aber Keiner hat ein Wort zuerst geschrieben: ich muß wieder den Anfang machen u doch wusste man sehr wohl daß ich dieß Jahr in Colmar bin. Nun, adieu, das Papier ist zu Ende. Viele Grüße von Papa, Mutter, Schwester, Brüder u Schlumbergers!
Alle haben Sie herzlich lieb.
Einen herzlichen Händedruck
von Ihrem ergebenen
J. Stockhausen
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