10 rue d’Autin. Paris am 7 May. 1862.
Liebe Frau Schumann!
Daß ich schon lange ueber mein Kopfleiden verstimmt bin ist Ihnen hinlänglich bekannt. Warum haben Sie glauben können daß ich durch irgend Etwas verletzt sey? Wissen Sie auch daß dieses Mißtrauen eine wahre Beleidigung für Ihre Freunde ist? Und das kommt bei Ihnen sehr oft vor <?>! Wissen Sie das auch? Kurz es war an dem Tag Ihrer Abreise nichts besonders im Hintergrunde des Herzens als der betrübende Gedanke daß Sie verreisen mußten, aber ich war etwas später aufgestanden, u statt gleich zu |2| Ihnen hinaufzueilen holte ich zuerst einige Orangen für die Reiseruthe (wie Lallemant mir kürzlich nach Bremen schrieb.) Recht ungemüthlich war es aber daß ich meine Chocolade zu spät bekam, daß ich nicht mitfahren konnte, daß ich schließlich nicht beim Einsteigen dabei seyn durfte. Nun, das werden Sie aber Alles vergessen über die erfreuliche Nachricht daß es mir viel besser geht! Das kalte Wasser, die Douchen auf Rücken, Beine u Arme haben den Kopf sehr erleichtert, u ich kann auch schreiben u lesen ohne große Anstrengung. – Aber verstimmt u aergerlich bin ich doch! Böse, unwillig, unleidig! (ist das Deutsch)|3| Denn ich muß in dem lärmenden Paris sitzen u mich über Musik u die Dummheit der Menschen ärgern. Kürzlich ließ ich mich bereden 500 fr. in einer Soirée zu verdienen u traf mit dem Pianisten Ritter zusammen. Der spielte von sich liederliche Musik u trug Chopin u Beethoven eben so liederlich vor. Die dummen Menschen machen alles klein, zimperlich, niedlich u coquet, alles nach Pariser Gusto u die Damen gerathen in extase, u drehn die
Augen u seufzen, u wimmern jämmerlich vor lauter Behaglichkeit, es ist eklich anzuhören u zu sehn. Und dann staunen sie wieder über Schubert u Händel, Schumann u Mozart, u meinen S. sey ein Träumer u habe Sachen |4| gesehn (im Traume) die sie nie gesehn hätten, u ich füge hinzu die sie nie sehn werden! 6 Wochen kann man es hier aushalten, wenn die Soiréen nicht gar zu häufig vorkommen, aber dann gute Nacht Welt! Wer ein deutsches Herz für Musik u Geselligkeit hat, der flüchte sich über den Rhein. Ich habe Ihre Commißion entrichtet, u auch gedankt. Erard habe ich nicht gesehn! Viardots ein Mal. Es ist mir, Gott sey’s geklagt Alles einerlei; am liebsten wäre ich Jenseits! Nun! Rigi Luft macht Alles wieder gut!
Am 20 ist Probe für Elias in Basel Am 23 die Aufführung! Am 16t
denke ich von hier abzureisen. Grüßen Sie bitte Ihre liebe Umgebung u Freunde!
Ihr treu ergebener
Stockhausen
Mad. Schlumberger in Guebwiller läßt Sie bitten, ehe Sie nach Rigi Kaltbad gehn bei ihr auf 8, 10, 14, 20, 24, Tage einzuziehn; sie bekommt dann ein neues Clavier u begleitet uns nach Rigi wo sie dann mit Ihnen noch studiren will. Bitte um Antwort denn ich habe mich verspätet!!
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