23.01.2024

Briefe



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ID: 19532
Geschrieben am: Donnerstag 02.10.1862
 

Baden-Baden 2 October 1862

Liebe Frau Schumann,
Ich will nun auch einmal wie ein Schlesischer, Pommer’scher od. Westphälischer Gutsbesitzer, wie ein badischer Gerichtsappellations-(nein umgekehrt) Appellationsgerichtspräsident (10) auf einem großen Bogen schreiben. Es ist zwar höchst unbequem, aber es ist eine vortreffliche Uebung zum gerade schreiben, besonders aber in dieser frühen Morgenstunde, wo die liebe Sonne quer über das Papier u durch die Fenster u Vorhänge ihre lachenden Strahlen zieht. Wie soll man da gerade schreiben? Und überhaupt wie soll man in Baden schreiben? Sie wären schon längst ausgegangen, etwa in die Lichtenthaler Allee, und hätten, unweit vom Bären, den Blick auf einer Brücke hinüber spazieren laßen, die zwar nicht unmittelbar in das Schumann’sche Häuschen führt, aber doch mittelbar u höchst bequem. Ich glaube aber ich wäre mit Ihnen ausgegangen, obschon es in dieser Jahreszeit meiner Constitution besser passt wenn ich zuerst schreibe, lese u arbeite eh’ ich mich auf die Beine mache, und das muss ich vorerst so erklären daß man in dieser Uebergangszeit nicht mehr gerne vor Tische badet, also eine completere Verschönerung des corpus vornehmen muss in aller Früh’, und |2| dadurch den richtigen Grad der Müdigkeit spürt um, nach einer 3 600sekundigen Toilette, den Kopf eher als die Beine in Thätigkeit zu bringen. Wahrlich, der Mensch wird immer vernünftiger! Ich weiss eine Zeit, wo ich allzuerst spazieren wollte, u pflichtmäßig mich eine od. gar 2 Stunden vor dem Frühbrei <?> erhitzte u ermüdete, jetzt aber, wo meine schwache Constitution es nicht mehr zugiebt, sitze ich so u denke, u schreibe lange u vieleicht langweilige Briefe u spiele Scala’s wenn ich ein Cembalo habe, kurz, Sie sehn dass die Constitution oder die Vernunft siegen, siegt od. bereits gesiegt hat! Doch nun zur Sache, denn bei dem langen Stehn vor der niedlichen Brücke unter Beuern bekommt man Heute kalte Füsse und man thäte besser sich nicht lange zu besinnen u tapfer hinein in’s Schumann-Häuschen einzutreten u sich auf den weichen Teppichen vor den Sofa’s der Frau Becker die Füsse zu wärmen. Doch halt! noch ist’s nicht gekauft, u das ist eben der Fehler! Es sollte schon eine ausgemachte Sache seyn, denn eine Madame Jung in Lichtenthal speculirt auch d’rauf, u H. Viardot meinte Gestern: „Je n’ai peur que d’une chose, c’est que un de ces quatre matins il ne vienne un amateur, acheteur, et preneur pour 15 000 florins.“ Kurz Sie müssen es kurz machen, liebe Frau Schumann. Das Haus ist trocken u in gutem Stande von oben bis unten, es kann viele ge<b>duldige Schäfchen fassen, u sogar ein Hirtenpaar in Ihrer Abwesenheit! Also frisch zugegriffen. Der Ankauf wird auf dem Bürgermeister-Amt verschrieben, u Sie können es |3| selber oder durch einen Notar, Anwalt od. Advocaten besorgen lassen, au choix. Ich rechne also d’rauf dass, wenn dieser Schlesische Brief in Ihre Hände fällt, Sie auf die Depesche hin, eine zusagende Antwort gegeben haben werden, denn n.B. unter 14 000 fl. giebt es Fr. Becker nicht weg! Ich stellte ihr vor dass man für einen so sicheren, ehrlichen Käufer, 500 fl. abgeben könnte, u wie sie immer nein sagte u von keinem höheren Preise die Rede war, versprach ich Ihnen 14 Mal Tausend fl. mitzutheilen, leider aber nicht mitzuschicken. Was die 500 fl. des Ankauf ’s betrifft so sind wir hier bedacht Ihnen eine Badische Einnahme dafür zu besorgen11 u weiss Gott, wenn ich meinen Frack hätte u meine Diener in schwarzen Stoff stecken könnte ich gienge zum Freund Grossherzog um einen, durch Gesangsproductionen verdienten, Gegendienst. Aber der Frack, der Frack! Nun! ausser Ihm, sind noch Er u Sie, u eine zweite, russische Sie da, u Herr Hamilton, u was weiss ich Alles[.] Man sagt sogar der König von Borussia hohle sich bei seinem Schwiegersohn guten Rath! Geb’ es der Himmel! Was die Großfürstin Helene aber holt weiss ich nicht. Und dennoch! Sie hat sich Frl. Orwil geholt um bei Hofe zu singen, u, wer weiss, vieleicht wie die Demoiselle Stubbe einen reichen Grafen zu verheirathen. Doch habe ich Frl. v. Rahden noch nicht sprechen können, aber ich glaube wenn Sie hier eine soirée geben, u Fr. Viardot singt, u Hehrmann, der Violinspieler, 18 Jahre, recht tüchtig wie
Frau Pauline meldet, u Herr Marchesi statt meiner Wenigkeit …… ich glaube Sie machen eine gute Einnahme. Wenn also ’was werden kann bitte ich nicht zu lange in Basel zu bleiben u das Geschäftliche dem Herzlichen, dem Riggenbach’schen, nicht zu unterordnen.
Vieleicht läßt sich auch in Strassburg etwas machen, u darum gewinnen Sie Ihre Wette; ich werde wahrscheinlich erst Samstag retourniren was mir hart u doch süss seyn wird wenn ich réussire! Auf Jean Becker in Strassburg u Outshorn rechne ich für Mitwirkung! |4| Auf mich auch u ich schreibe dem ersteren Heute schon damit ich ihn im Strassburg nicht verfehle. Von Bekannten habe ich 1.° Ed. Devrient am Bahnhofe getroffen, Marchesi erblickt (er mich nicht) Sivori begrüsst u Merk’s aus Hamburg besucht! Es ist merkwürdig dass Johannes wegen alles was von Hamburg kommt mich anzieht! Nun die <W>Villa Merk ist auch schön wenn auch nicht so gemüthlich wie die Ihrige u ich soll Heute dort speisen. Mit dem 7.45. S. Z. reise ich alsdann nach Straßburg, schlafe Morgen in Colmar, u hole Samstag früh meine sieben Sachen in Gerberweile. Gestern Ab. gab die Carlsruher Truppe Czaar u Zimmermann. Sie sangen u spielten alle recht frisch u das ganze hatte den künstlerischen sorgfältigen Devrient-Styl! Er ist ein ganzer Director! Viardots waren oben, ich leider unten u so versteckt dass ich mich nicht zeigen konnte! Das war Pech! Wie? – Nun grüssen Sie Ihre lieben Kinder u Ihre liebe Wirthin u Ihren wohlwollenden Wirthen u Emmanuel, u so werde ich
Sie auch grüssen von Herzen
( Notenbeispiel )J. S.

Madame
Clara Schumann
au château
Guebwiller
Ht
Rhin
France.

  Absender: Stockhausen, Julius (1547)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
573 - 577

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,57
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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