Hannover,23. Maerz 1863.
Liebe Frau Schumann.
Es war eben so unmöglich Gestern einen Brief zu schreiben als eine viertel Stunde mit einem Menschen zu sprechen. Zwanzigfach hätte man sich angenehm unterhalten können, einfach aber,war es ganz & gar unmöglich.Ich glaube nicht daß je ein weiter[es] Zusammenthun von Musikern und Musikliebenden in Hannover gesehen worden ist. Telegraphiren wollten wir, aber da hiess es wohin? Am 21 sollten Sie Paris verlassen & nach Lyon reisen. Wo Sie wohnen in Lyon wusste Keiner! Da waren also Riggenbachs und Kirchner aus der Schweiz, Bischoff aus Cöln, Engel und Dietrich aus Oldenburg, Moeller und Töchter aus Bremen (Töpken nicht!!!) Avé aus Hamburg, Otten,
Dr. Hachmann [?] und Herr Schwarz ebendaher, einer aus |2| Bückeburg, einer aus Altenburg, Grimm aus Münster, Livia Frege aus Leipzig mit Gemahl kurz Alles was Geld und Sinn für neue schöne Musik hat, war zugegen. Sie kamen einer nach dem andern, die Schweizer zuerst in der Nacht vom 19. -20. die Andern Freitag & endlich Sonnabend selbst der größte Theil; von Frankfurt aber kein Mensch u der Abt von Braunschweig war auch nicht gegenwärtig. Livia Frege meinte: Nun hat man wieder einmal Musik gehört und gedacht: so muß es seyn. Joachim gelang auch jedes Tempo, was bei den Proben nicht immer der Fall war. Er war ganz begeistert & gab sich unglaublich Mühe. Wenn |3| es, wie man von Mendelssohn erzählt, mit einem gewissen Lächeln, mit einem schalkhaften Worte, mit begeistertem Auge auf Chor und Orchester zu wirken wusste, er wäre unser erster Dirigent, aber sein Gesicht ist zu ernst, sobald er den Stab ergreift, und er läßt die inneren Gefühle auf dem Spiegel der Seele nie gewahr werden. Aber wie spielte das Orchester gegen Leipzig! Ei! Ei! wie man da den Meister erkennt & wie habe ich Anfänger aufgepaßt! Schlisslich war das Concert im Concert-Saal. Der König hatte in der Freitag Probe einen Versuch gemacht uns in das Theater zu locken, aber wie ich glaube ich schon erzählt habe, ich gab es nicht zu, weil ich den Chor kenne & seine Schüchternheit, & weiss dass er nicht ausgegeben hätte. Der Raum aber im Concertsaale ist zu klein. Bis man für 220 Mitwirkende Platz gemacht hat, bleibt wenig für die Zuhörer. Dennoch war der Saal nicht |4| gefüllt. Wie lau ist das Publicum in Hannover! Wie fühlt man hier den Einfluss eines Hofes der alles applaudiert & protegiert! Auch keine Critic! Kein Wort wurde vor der Aufführung geschrieben! Und nun eine Entschuldigung! Das [sic] ich beim König keinen Schritt gethan um ihn an sein Vorhaben zu erinnern, liegt einfach daran, dass Sie nicht so viel reisen sollen! Ruhe ist für Sie Gold werth, liebe Freundin, & von paris nach Hamburg, von hier aber nach Lyon, alles in 5 - 6 Tagen, wäre fürchterlich gewesen. Der Graf fragte mich wann ich zum zweiten Mal den faust singen könnte. Ich sagte Anfang April; dann sind Sie in Düsseldorf & es ist ein Leichtes hinüber zu rutschen. Haben Sie die anschauliche[?] Differenz gerügt & jetzt verziehen? - Adieu! Freuen Sie sich nicht in Gedanken an den 21. Das Werk Schumanns vergißt Keiner mehr, der <wie[?]> <All> zuhörte. Alle waren begeistert, vor Allem der Chor! Wie funkelten die Mädchenaugen! Wie glühten die Herrengesichter! Sie gaben sich unbeschreibliche Mühe es gut zu machen! Der ganze Hof war zugegen u alle dankten, aber was giebt man dafür. Die eine Hand die sich nach Marianus Arie trotz der königl. Stille rührte, ist massgebender! Ihr J. St.
Heute reise ich nach Bremen. – Riggenb. Kirchner u Freges sind diese
Nacht abgereist. Erstere nach Dresden u Chemnitz zu Papa Kirchner.
Joachim spielte Quartett Gestern früh! Wie herrlich! Alle Freunde waren da! Johannes fehlte mir sehr!
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