Cannstatt d. 26ten Octbr.
Sonntag 1872.
Acht tage sind schon verflossen liebe Frau Schumann seit ich mit Ihnen das Glück hatte zu musiciren und noch habe ich Ihnen nicht sagen können wie mich die beiden Concerte als Künstler erfreut haben. Man muß die hiesigen Verhältnisse kennen um es zu verstehen wie wichtig es ist für Publicum und Ausübende selbst daß sie & Alle die es so treu mit der Kunst meinen|2| öfter nach dem verlassenen Stuttgart zu kommen. Nur so, nur durch ein so treffliches Beispiel werden Alle aus ihrem Schlummer geweckt & so ist jetzt zu hoffen daß auch in den Abonnement Concerten der capelle Anstrengungen gemacht werden um fremde Kräfte einzuladen. Bisher ist positiv eine Art chinesische mauer um unsere Hauptstadt gezogen worden & nur unser Singer, unsere Marlowe, unser Schütky durften auftreten. Sie thaten es auch gerne & unentgeltlich|3| damit ja kein anderer den platz im Programm ausfüllte. Es sind bald drei Jahre daß ich wieder kam & vor habe ich nicht in obengenannten Orchester gesungen. Dienstag soll es nun los gehen. Der Arzt versprach aber noch nicht daß ich bis dahin ganz von der Anstrengung am Samstag geheilt seyn werde. Es wäre fatal wenn das erste Mal gleich mit einer Absage ausginge. Auch weiß ich noch nichts über meine Abreise. Vielleicht muß ich noch pausiren. Wie wäre es aber, wenn ich noch am 11. od. 12. November hier bin, ein |4| Concert mit Frau Joachim zu veranstalten? Ich singe Ihnen gerne Duett & Lieder. Verfügen Sie in diesem Unglücksfall(!) über mich. Wenn ich von Ihnen erfahre daß Sie kommen können verstumme ich noch ein Weilchen & bleibe bei Frau und Kindern bis Sie mit Ihrer Reisegesellschaft nach Wien gezogen sind.
Was haben Sie zu den 1123 Fl gesagt? Ich war ganz überrascht. So ist's noch nicht gewesen! Das Positive hat doch die eine gute Seite daß man, wenn es reichlich fließt nicht so viel daran zu denken braucht. Ist's nicht so?
Mit herzlichem Gruß von beiden an sie & ihre Umgebung verbleibe ich Ihr ergebener Sänger J. St.
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