Frankfurt a/Main, 9ten August 1893.
Hochverehrteste Frau Doktor!
Ich erhalte aus Berlin die mich sehr erfreuende Nachricht, daß mir von Seiten des Cultusministeriums der Professortitel verliehen sei. Diese Auszeichnung nehme ich vor Allem mit den Gefühlen des herzlichsten Dankes für Sie an. Waren es doch Ihre lieben und einflußreichen Worte in allererster Linie, welche einer Angelegenheit, deren Ausgang sehr zweifelhaft schien, eine solche für mich günstige Wendung gaben. Nie werde ich Ihre Güte vergeßen und mir diese immer mehr zu verdienen trachten. Auf die mir gewordene Auszeichnung darf ich wohl jetzt etwas stolz sein, weil Ihre und Meister Brahms’s Hand dabei für mich im Spiele war. Gilt mir doch für jede Kunstsache |2| eine Befürwortung von Ihnen, hochverehrteste Frau Doktor, so viel wie deren Adelsbrief und wird doch leider der Kreis derjenigen, die überhaupt von Kunst noch einen richtigen Begriff haben, ein immer kleinerer.
Ich hoffe sehr, Sie haben eine recht schöne Sommererholung3 und erfreuen sich erquickender Tage. Meine liebe Frau vereinigt sich mit mir in dem Wunsche, daß Sie und Ihre werthe Fräulein Tochter4 die schönsten Ferien genießen und wir grüßen Sie Beide auf das Herzlichste. So Gott will, haben wir die Freude, Sie bald in bester Gesundheit in Frankfurt wiederzusehen. Indem ich Ihnen nochmals für jede Mühewaltung, für jedes mich ehrende Zeichen Ihres Wohlwollens von ganzem Herzen danke, verbleibe ich, hochverehrteste Frau Doktor, Ihr
Ihnen in wahrhafter Verehrung ergebenster
Anton Urspruch.
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