23.01.2024

Briefe



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ID: 19801
Geschrieben am: Sonntag 04.11.1866
 

Verehrte Frau.
Es geht mir jetzt, wie jedem Arbeiter; ich gehöre nur Sonntag Vormittag mir selbst an; nun ist auch noch der Chordirektor krank geworden und ich muß alltäglich dem Chor sein Pensum einbläuen! Wie herzlich gerne wäre ich einen Tag zu Ihnen herübergekommen, um mich an der Künstlerin und Freundin zu erlaben, aber meine Aufgabe ist jetzt zu tragen und zu resigniren, und da hilft es nichts zu murren. Ich bin dem Himmel dankbar genug, daß es mir vergönnt war, so lange Sie hier waren den Kopf frei zu haben. Kaum waren Sie weg, lag ich wieder auf der Nase; von Sonntag bis Donnerstag. Seitdem bin ich wieder ganz wohl und habe sogar das Gefühl, als ob es so bleiben könnte. Ihren Brief erhielt ich leider erst Mittwoch Nachmittag, als es zu spät war, die Karten zu besorgen; er war Morgens angekommen, als ich schon ausgegangen war. Ihr Gefühl beim Tode des Kätzchens habe ich lebhaft mitempfunden; die Leute nennen dergleichen zwar Sentimentalität, aber ich halte es mit dem Talmud, der vor Menschen warnt, die ein Thier kaltblütig zu tödten fähig sind und sogar das Schlachten nur in Form einer religiösen Handlung gestattet. Ich bringe es nicht einmal fertig, mein Schufterle zu prügeln, und der sündigt redlich auf diese meine Schwachheit. –
Das Horntrio ist noch nicht angekommen. Daß die Schweizer Touristen nichts von sich hören lassen, ist ja merkwürdig; auch in Schweizer Blättern habe ich noch nichts von einer gemeinschaftlichen Conzert-Anzeige gelesen. Am Ende hat Brahms wie Joachim prophezeit hat, Reue bekommen und sitzt bei den Mönchen in Einsiedel! – Wenn es Ihnen recht ist, komme ich Dienstag Nachmittag hinüber und wir reisen dann Mittwoch früh zusammen ab. Sollte ich an diesem Tage nicht wohl sein, so telegraphire ich Ihnen in der Frühe. Sollte es Sie in Ihrem Packen etc. im geringsten stören, so telegraphiren Sie mir, bitte, Dienstag früh. Hier könnten wir uns doch nur in der Hetze sehen; ich habe Mittwoch sogar Probe bis ein Uhr. So können wir doch noch einen Abend verplaudern. Aber natürlich darf es Sie nicht geniren; wenn Sie wollen, komme ich auch erst mit dem 6 Uhr Zug!? – Nach Frankfurt werde ich nicht gehen. Emma selbst wünscht es nicht und ich muß ihre Gründe ehren, so schwer es mir wird. Es ist mir, als ob mit ihr ein Stück meines eigenen Lebens davon zöge! Aber auch das wird und muß überwunden werden. Sie werden sie noch sehen. Die Hochzeit ist am 12ten. Leben Sie wohl. Auf fröhliches Zusammensein Dienstag. Wie wird es uns vor den gepackten Kisten zu muthe sein!
Mit herzlichen Grüßen an Frl. Marie und Julie
Ihr treuer
Hermann Levi.

Carlsruhe. 4 Nov. 1866.

  Absender: Levi, Hermann (941)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-016-2
494f.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 10623,18-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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