23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 19802
Geschrieben am: Donnerstag 20.12.1866
 

Verehrte Frau.
Eben habe ich Ludwig’s Siebensachen geordnet und Frau Weyk geschickt, da ich selbst den Weihnachtsabend bei Frau Feidel zubringen will. In dem Paquet, das Reisetasche und Waschetui enthielt lagen auch die Bach’schen Cellosonaten, deren Bestimmung ich nicht kenne. Soll ich sie vielleicht Herrn Lindner geben, der Sie wie er mir sagte, durch Brahms darum gebeten hat? – Mit Ludwig hatte ich gestern eine lange, ernste Unterredung in Folge eines Gespräches mit Frau Weyk und Frl. Widmann. Obgleich ich Sie gerne mit dem Inhalte verschonen möchte und obgleich ich sogar Ludwig versprochen habe, Ihnen nichts davon mitzutheilen, muß ich Ihnen doch darüber schreiben, weil Frau Weyk eine Aenderung insofern zu treffen wünscht, als sie die Kündigungszeit nicht mehr wie bisher, vierteljährlich, sondern monatlich festgesetzt haben will.
Die Details zu erzählen, würde mich zu weit führen. Ludwig war eben durch die lang andauernde Krankheit von Frau Weyk (sie ist noch immer nicht recht hergestellt) in der Lage, sich Mancherlei versagen zu müssen, und da er noch nicht gewohnt ist, sich in Andere zu schicken, gab dies zu allerhand Scenen Anlaß, die mit einer peremptorischen Forderung, zuletzt mit einer Kündigung seinerseits endigten. Frau Weyk ließ mich rufen, erzählte mir den Hergang, sowie manche andre an sich geringfügige, für Ludwig aber nicht recht passende Episoden, und fragte mich was sie thun solle. Aus Allem was sie mir sagte, leuchtete das lebhafteste Interesse für Ludwig und die wärmste Anhänglichkeit für Sie hervor und es bedurfte keiner Ueberredungskunst meinerseits, die Dinge durch Ludwig’s Unerfahrenheit zu entschuldigen und zu vergessen. In meiner Unterredung mit Ludwig war ich zuerst vorstellend, ermahnend, dann, als er wie immer allerhand Ausreden hatte, ernster und zuletzt recht derb und abkanzelnd. Das schien ihm Eindruck zu machen; er wurde ganz gerührt und ich auch; er sah sein Unrecht ein, versprach mir in die Hand hinein, sich künftig zusammenzunehmen und als Alles wieder ausgeglichen war, ging ich noch eine halbe Stunde mit ihm spazieren und da kann ich Ihnen sagen, daß ich meine herzliche Freude an ihm hatte und daß auch Sie noch welche an ihm erleben werden. Aber ich glaube es ist nöthig, daß man ihn von Zeit zu Zeit recht derb anpackt; der Kern seines Wesens ist vortrefflich, aber die Schale hart und wenig geschmeidig. Von der Nothwendigkeit, von der eigenen Person zu abstrahiren und sich in Menschen und Verhältnisse, wie sie eben sind, zu schicken, hat er keine Ahnung. Als ich ihm klar machte, daß sein Benehmen von dem grassesten [sic] Egoismus zeuge (ich übertrieb natürlich) wurde er plötzlich ganz still; dann dankte er mir mit Thränen in den Augen und versicherte mich, von nun an werde er ein anderer Mensch werden, meine Vorwürfe seien alle wohlbegründet und ich werde mich in der Zukunft überzeugen, daß er Wort halten werde. Frau Weyk erzählte mir u. a., daß er jede freie Minute am Klavier zubringe, daß er in einer für ihn und Andere aufregenden Weise schiele, daß er nie spazieren gehe u. s. w. Alles dies hielt ich ihm vor, drohte ihm, Sie zu veranlassen, das Klavier fortzunehmen, er solle fleißiger Sprachen studiren etc. – Nun bitte ich Sie recht sehr, ihm von Allem dem Nichts zu schreiben. Wir wollen nun einmal sehen, wie er sich hält. Seien Sie versichert, daß ich ihn im Auge behalte, und daß ich Ihnen, wenn wieder das Geringste vorfallen sollte, Nachricht gebe. Dann wäre es an der Zeit, daß auch Sie ein ernstes Wort sprechen; jetzt aber, nach meinem schweren Gewitter, braucht er Sonnenschein. – Frau Weyk läßt Sie wiederholt ersuchen, Ludwig den Café nach Tisch zu gestatten; sie glaubt, daß es körperlich für ihn gut wäre. – Möchten Sie nicht Frau Weyk ein paar Zeilen schreiben? Die Frau hat mir außerordentlich gefallen und ich glaube, ein paar freundliche Zeilen von Ihnen, würden ihr wohlthun. Auch Frl. Widmann ist eine vortreffliche Person. Ludwig konnte gewiß nirgendwo besser aufgehoben sein. Sollte aber durch die Kränklichkeit von Frau Weyk oder eine andere Ursache eine Veränderung nothwendig werden, so weiß ich eine nach jeder Richtung sehr zu empfehlende Familie, die jederzeit bereit ist, Ludwig aufzunehmen, (auf die auch Allgeyer große Stücke hält.) –
So. Nun könnte ich Ihnen noch wieder Erfreuliches von dem Slüngel, dem Levi erzählen, will es aber lieber bleiben lassen, denn dem ist schwer zu rathen und zu helfen. Gesundheitlich geht es mir besser; ich hab in dieser Hinsicht Fortschritte gemacht und hoffe von dem Sommer und der See vollständige Genesung. Im Uebrigen steckt mir der Kopf voll Sorgen, Allgeyer meint, ich müsse verliebt sein; vielleicht hat er Recht. – Mein Vater war ein paar Tage hier in einer Angelegenheit, wegen der ich die tiefgehendsten Differenzen mit ihm hatte und die wie ein Alp auf mir lastet. (Es betrifft meine jüngere Schwester). Die Verschiedenheit unseres Alters und Berufes und der Kreise, in denen wir uns bewegen, hat bei der innigsten Liebe eine gewisse innere Kluft zwischen uns geschaffen, unter der ich fortdauernd und empfindlich leide und die ich mit dem besten Willen und aller Pietät nicht auszufüllen vermag. So lange es sich um Kleinigkeiten handelt, gebe ich nach, wenn es sich aber, wie jetzt, um das Wohl einer Dritten handelt, kämpfe ich mit allen Kräften für meine Ansicht, und da sind unliebsame Diskussionen unvermeidlich. – Doch wozu schreibe ich Ihnen das – ich wollte, Sie wären erst wieder in der Nähe – ! – Hat Ihnen der Herr Pastor von dem Gutachten Serger’s geschrieben? Wenn nicht, so ermächtigen Sie ihn doch, „die Oeffnung in der Thüre und das Drahtgitter unten in der Küche“ machen zu lassen. Im Frühjahr muß dann ein Dunstabzug gemacht werden. Serger sagte, das Ganze sei eine Ausgabe von ein paar Gulden und habe gar keine Eile. – Gestern war in Baden Astorga von Abert. Das Publicum war außer sich vor Entzücken.
Hier hat die Oper weniger gefallen und wie ich von mehreren Seiten höre, nur deßhalb, weil ich so über die Maßen dagegen geeifert hätte, was mir von Abert & seinen Stuttgarter Freunden (wie mir Frau Viardot gestern sagte) sehr verübelt worden ist. Ich erinnere mich nicht, daß ich vor der Aufführung besonders losgezogen hätte, nach derselben habe ich allerdings weidlich geschimpft. Da soll aber einer ruhig bleiben, wenn in allen süddeutschen Zeitungen Abert als zweiter Beethoven gepriesen wird und wenn man sieht, wie solche triviale Dudelei über alle deutschen Bühnen geht, von Städten wie Leipzig bejubelt. Ich versichere Sie, es ist recht schwer, Theaterkapellmeister zu sein, besonders wenn man nichts weiter ist. – Den Weihnachtsabend werde ich also mit Frl. Julie und Elise bei Frau Feidel zubringen. Gedenken Sie unsrer, wenn’s klingelt – Julklapp!! Daß sich Frl. Julie bei meiner Tante behaglich fühlt, freut mich von Herzen. Als ich dort war, war sie gerade unwohl gewesen und meine Tante war sehr besorgt. Seither war sie immer sehr wohl. – Daß sich Brahms unter den jetzigen Verhältnissen in Wien nicht behaglich fühlen konnte, wusste ich voraus. Bisher hatte das Volk trotz aller Misere immer seinen Humor und seine Leichtlebigkeit behalten; nach den jüngsten Vorgängen und bei dem unausbleiblichen Zusammenstürzen des ganzen Staatsgebäudes mach [sic] sich auch in den sozialen Verhältnissen und in den Gemüthern der Einzelnen eine arge Verstimmung einschleichen, die für den Künstler nicht gerade anregend wirkt. – Berlin wird in der Zukunft auch der Mittelpunkt des Kunstlebens werden. – Wissen Sie, daß sich Feuerbach ein Atelier dort gemiethet hat? – Allgeyer grüßt. Das ist ein alter lieber Kerl, treu wie Gold; wenn ich einen Abend mit ihm zusammen war, ist mir immer als hätte ich ein erfrischendes Bad genommen. Selbst seine Fehler muß man lieb haben, wenn man ihre Geschichte kennt. – Was sagen Sie denn zu Joachim in Paris? Ich delectire mich förmlich an den überschwänglichen Berichten der Pariser Zeitungen; ich muß gestehen, ich hätte nicht geglaubt, daß sich die raffinirten, corrumpirten Franzosen noch zu einer Begeisterung für deutsche Tiefe und Einfachheit aufschwingen könnten. – Haben Sie die Cello-Sonate schon öffentlich gespielt? Ich denke, die müsste gefallen, – doch das denke ich bei jedem Brahms’schen neuen Werke und doch wollen die Philister nicht daran! Rathen Sie ihm doch, ein Heft Lieder herauszugeben (Wiegenlied, Dunkel, wie dunkel, Wenn der silberne Mond, Verzweiflung etc.). Letzteres (C moll) spiele ich mir jeden Tag vor und brülle den Text dazu. – –
Nun leben Sie wohl. Sagen Sie Frl. Marie viele Grüße. Nicht wahr, Sie schreiben Ludw. nichts über seine Angelegenheit? – Sein Sie heiter und fidel während der Feiertage und fangen Sie das neue Jahr mit Heideldideldum an! Ich werde die Sylvesternacht, wie immer, allein durchwachen, Briefe ordnen, und meinen Gedanken Audienz geben. Grüßen Sie Brahms von mir, wenn Sie ihm schreiben! Er hat sich, wie ich es voraus wusste, von mir entfernt und ich besitze Selbstkenntniß genug, ihn auch hierin zu begreifen. Ich werde ihm anhängen mein Leben lang. Goethe sagt einmal irgendwo: Wenn ich Dich lieb habe, was geht Dich’s an? – – Aus treuem Herzen grüßt Sie
Ihr
Hermann Levi

Carlsruhe 20. Dez. 66.

  Absender: Levi, Hermann (941)
  Absendeort: Karlsruhe
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-016-2
498-502

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,200; Abschrift: D-Zsch, s: 10623,19-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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