Verehrte Freundin.
Soeben von einer Reise nach Berlin zurückgekommen, finde ich Ihren Brief und beeile mich denselben kurz und ganz geschäftlich zu beantworten, da ich eine Masse Arbeit hier vorgefunden habe.
Unser Copist ist gegenwärtig mit dem Ausschreiben der Partitur von Genoveva beschäftigt. Als Vorlage habe ich die Carlsruher. In etwa 4 Wochen wird der Copist fertig; dann kann Herr von Bronsart die Carlsruher Partitur haben, oder ich kann sie einem Leipziger Copisten (die besten und billigsten) schicken. Unsere Copisten hier haben nicht Zeit, noch eine Abschrift anzufertigen, da sofort mit dem Ausschreiben der Stimmen begonnen werden muß. Da in der Carlsruher Partitur alle meine Aenderungen eingezeichnet sind, so ist oft das Original schwer von den Zuthaten zu scheiden. Da ich nun aber meine, die Partitur müsse den Theatern in der Form geliefert werden, wie Schumann sie geschrieben, so würde ich an Ihrer Stelle in Carlsruhe eine Abschrift des Manuscriptes fertigen lassen. (Will wird Ihnen gute Copisten vermitteln.) Hier habe ich meinen Copisten instruirt, daß er alle meine Einzeichnungen, Striche etc. weglasse, damit meine Nachfolger künftig genau wissen, was Original, und was Zuthat ist. Ich controlire deßhalb die Abschrift bogenweise. Ein fremder Copist wird sich aber in der Carlsruher Partitur nicht zurecht finden. Das Gescheiteste wäre, wenn H. von Bronsart warten wollte, bis die Oper hier einige Male aufgeführt ist; dann kann er unsere Partitur haben (welche meine Aenderungen mit Bleistift eingezeichnet enthält) und auch unser Scenarium. Will er das nicht, so weiß ich keinen anderern Rath, als eine Abschrift nach dem Manuscript machen zu lassen. – Sie wären allen Mühen in dieser Richtung enthoben, wenn Sie Mitglied der Genossenschaft der Autoren und Componisten in Leipzig werden wollten. Holstein ist Praesident. Von ihm können Sie Näheres erfahren. Oder übergeben Sie mir die Sache zur Besprechung mit Holstein. Wenn der Contract mit Hannover noch nicht abgeschlossen, so dringen Sie auf Gewährung einer Tantième! Und zwar meine ich 5 Prozent. Auch hier wird 10 Prozent nicht durchzusetzen sein. Unsere allergeringste Einnahme ist 1000–1200 fl. Das würde also pro Abend 50–60 fl. ausmachen. Für die ersten 3 Vorstellungen möchte ich aber 2000–2500 fl. Einnahme garantiren. Die Aufführung wird sicher Anfang October stattfinden. Die Besetzung wird vorzüglich. In Bezug auf die Margaretha schwanke ich noch zwischen Frau Vogl und Frl. Scheffzky. – Nach reiflichen Ueberlegungen bin ich zu dem Schlusse gekommen, den letzten Doppelchor G-dur 12/88 ganz wegzulassen, von dem Duett zwischen Siegfried und Genoveva gleich auf den Eintritt des Hidulfus zu springen. (ohne Verwandlung). Was sagen Sie dazu? Durchgreifende Aenderungen (Verwandlung von Musikstücken in Rezitative etc) werde ich nicht vornehmen. Ich traue es mir nicht zu, gut zu machen. Wohl aber werde ich in der Instrumentation Mancherlei ändern, besonders im 3. und 4. Akt. Z. B. die lebenden Bilder durch Bühnenmusik begleiten, das Orchester nur dann spielen lassen, wenn die auf der Scene befindlichen Personen reden. In Bezug auf dergleichen Eingriffe muß ich Ihres Vertrauens, daß es zum Besten des Werkes sein werde, sicher sein.
. . . . Ferdinands Braut hat mir sehr wohl gefallen; ich habe zwar nicht viel mit ihr gesprochen, sah sie nur in einer großen Gesellschaft bei Levys, aber der Eindruck ihrer Persönlichkeit war ein sehr günstiger.
Brahms war 14 Tage hier, ist vorgestern nach Tutzing, wo er für den Sommer gemiethet hat, abgereist. Adresse dort: Bei Amtmann in Tutzing am Starnberger See. – Werde ich Sie Ende Juni in Baden sehen? – Ich muß schliessen. Viele Grüsse an Frl. Marie und Eugenie und an das liebe Häuschen. Schade, schade! – –
Von Herzen Ihr treuergebener
Hermann Levi.
München 16.5.73.
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