Baden-Baden d. 14 Juni 1871.
Geehrtester Herr Scholz
es bedarf wohl keiner Rechtfertigung Ihrerseits wenn Sie mir eine Composition schicken, ich nehme Solches jederzeit als eine mir von Ihnen erwiesene Freundlichkeit, und so danke ich Ihnen freundlichst für die Sendung des Capriccio, von welchem Herr Brahms mir schon vorigen Winter schrieb. Es scheint mir, soweit ich nach bloser Durchsicht des Orchesters urtheilen kann ein sehr effectvolles und dem Publikum leicht zugängliches Stück zu sein. Für jetzt, wo in Carlsruhe Ferienzeit ist, würde mir die Gelegenheit es ’mal zu probieren fehlen, aber im Herbst kann ich es gewiß ’mal in Carlsruhe spielen, und erbitte mir dann die Stimmen von Ihnen. Sagen Sie mir, bitte, ob ich die Partitur bis dahin behalten kann, oder ob Sie vorziehen mir Diese später wieder zu schicken? dann wäre mir auch die Clavierstimme erwünscht. Ich hörte vor einigen Tagen, daß Sie eine Aufforderung nach Breslau als Musikdirector erhalten haben, und da hätte ich eine Bitte an Sie, falls Sie diese Stelle nicht annähmen, meinen Bruder Bargiel der sich seit 5–6 Jahren in Holland als Director der Musikschule und Dirigent so tüchtig bewährt hat, daß, obgleich er schon mehrmals kündigte, man ihn doch nicht fortließ, vorschlügen. Er kann in Rotterdam wegen des für die dortigen enorm theueren Verhältnisse zu geringen Gehaltes nicht bestehen, und, wie ich hörte ist der Gehalt [sic] in Breslau im Verhältniß ein weit besseres. Natürlich müßte er auch dort wie in Rotterdam nebenbei Stunden geben. Er würde aber gerade für Breslau sehr gut passen, weil er nicht zu der sogenannten Zukunftsparthei gehört, aber auch kein Pedant ist. Entschuldigen Sie meine Bitte – leider ist mein Bruder nicht der Mann, der Etwas für sich selbst thut!
Herzlich Sie und Ihre liebe Frau grüßend Ihre Clara Schumann
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