23.01.2024

Briefe



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ID: 20710
Geschrieben am: Samstag 16.05.1863
 

Baden d. 16 Mai 1863.
Hätten Sie mich gestern Nachmittag gesehen – einsam und traurig auf die Wiese und den Wald vor mir blickend, und so Manches, auch Ihrer, mein lieber guter Freund, den ich nun schon so lange nicht sah, wehmüthig gedenkend, Sie hätten sich mit mir gefreut, daß Ihr Brief kam, den ich recht sehnlichst erwartet hatte.
War nun auch sein Klang nicht heiter, so ist es mir doch immer ein so wohlthuendes Gefühl daß Sie mir schreiben, wie Ihnen um’s Herz ist – wozu hätte man denn eine getreue Freundin, wäre es nicht, Leid u Freud ihr an’s Herz zu legen. Wissen Sie wie Einem ist, wenn man Jemanden recht lieb hat, wie dann dessen Wohl und Wehe einen immer u immer beschäftigt? – so mir mit Ihnen! Wie oft denke ich über Ihre Zukunft nach, wo Sie es nicht ahnen, wie gern riethe ich zu Ihrem Glücke! doch wie? Was Sie da vom Conservatoire und Moscheles schreiben, ist doch wohl nur Scherz! arbeiten, dazu brauchen Sie doch keine Menschen, das können Sie für sich, wo Sie wollen z. B. – auch in Baden! – ich denke, wir sprechen über Alles, sagen Sie mir aber doch bald, wann Sie zu kommen gedenken? ich möchte doch gern daß dann alles gemüthlich bei mir wäre und Ihr Kommen nicht gerade mit anderm Besuche zusammen träfe. Ich erwarte nämlich nächsten Dienstag eine alte Schulfreundin aus München, bei der meine Julie vor 2 Jahren ein ganzes Jahr war und die hierher kommt, um der Mad. Viardot eine junge, talentvolle Sängerin zur Schülerin zu übergeben, diese bleibt wohl 6–7. Tage, und muß ich mich natürlich ihr widmen, so viel es geht. Ist sie aber fort, so bin ich frei, und wie freue ich mich, wenn Sie, mein geliebter Freund, dann kommen! Vielleicht wird’s Ihnen ein bischen wohl bei uns, denn so einfach es auch bei uns hergeht, so müssen Sie es doch bald fühlen, welch recht lieber Gast Sie uns sind.
Es wird jetzt so nach u nach Alles fertig, nachdem ich aber auch mit den Kindern8 furchtbar gearbeitet. Sie haben kein Begriff, welche endlose Mühe und Sorge solch’ne Einrichtung, und sei sie noch so einfach, macht. Es ist wohl ein angenehmes Gefühl ein eignes Besitzthum, aber ich habe zu meinen vielen Sorgen jetzt auch noch die für’s Haus, bisher mir ganz fremd vorgekommen.
Da muß der Balkon ausgebessert werden, da sind die Ziegel auf dem Dache lose, dort regnet es durch u so täglich neues, was für eine Frau allein doppelt schwer ist, weil sie die Arbeiter an allen Enden betrügen. Überall wo etwas gemacht werden muß, stehe ich jetzt dabei, sonst geschieht es nicht ordentlich. – Aber eine leere Wand habe ich noch, und vermisse sehr das liebe Geschenk von Ihnen.
Ist es unbescheiden, wenn ich Sie bitte, mir dasselbe zu schicken? – mitbringen können Sie es doch nicht selbst, das wäre mühsam, es muß doch gut verpackt werden, damit die Blätter nicht leiden. Dann legen Sie doch, bitte, die Lieder Robert’s op 48, 35, 79, 57 u 39, sowie die Liederspiele, und Duette op 34. (diese habe ich, da Sie sie schon hatten, nicht sagen Sie zu dem Düsseldorfer Musikfeste?
Ist es nicht eine Blamage, daß man ein deutsches Musikstück in die Hände einer Sängerin legt, die, wie mir neulich noch Joachim sagte, gar nicht mehr öffentlich singen sollte, deren Namen also ziehen soll, damit so viel Geld als möglich einkommt? Ich sollte dort spielen, habe aber abgeschlagen, weil ich mich schämen würde, unter der Direction eines Tausch auf einem Rheinischen Musikfest zu spielen. Die Menschen sol¬len sich aber um die Billette reißen, und was ist’s? die Neugier die Lind zu sehen und zu hören, ob sie wirklich die Stimme verloren – miserable. Es thut mir leid, daß Stockhausen singt, es sollte doch bei solcher Gelegenheit Jeder seine Gesinnung vertreten, wenn er eine hat.
Von Stockhausen kann ich Ihnen das aber Allerneueste sagen – er ist verlobt, mit einer reizend sein sollenden Schauspielerin Ellen Franz in Berlin, vorgestern schrieb er es mir, sonderbarer Weise aber noch bevor er ihr Jawort hatte. Ich hoffe, er hat es erhalten. Er sagte: ich reise heute nach Berlin mir ein liebes Reh zu holen – recht Stockhausensch – Nun, es gebe der Himmel seinen Segen. Für Joachim aber bangt mir sehr, oft muß ich daran denken, wie traurig, würde er nicht so glücklich, wie er es verdient. Mündlich mehr darüber, aber ganz unter uns dies, bitte – haben Sie denn meinen Brief von Saarbrücken (von Frankfurt d. 30 April abgesandt) nicht erhalten? Bitte, erwähnen Sie doch künftig immer des Empfanges, weil ich mich sonst beunruhige. Wie herrlich muß es jetzt in Zürich sein! wie gönne ich Ihnen diese Fahrten auf den See. Könnte ich mich einmal mit Ihnen ergötzen an den herrlichen Bergen. Ich hoffe aber sehr, ich kann es noch diesen Sommer. Von mir und meinem inneren Leben, meiner Gemüthsstimmung habe ich Ihnen noch nichts gesagt – lassen wir das, bis wir hier ein ruhiges Stündchen finden. es läßt sich so Vieles sagen, schreiben so schwer. Sagen Sie mir bald, theurer Freund, wann Sie kommen, und seien Sie auf [sic] innigste gegrüßt von Ihrer Clara.
Die Kinder erwiedern dankend freundlich Ihre Grüße, Julie bringt mir Montag Frau Schlumberger mit. Ueber welches Thema werden Sie wohl morgen phantasieren? –


  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
204-208

  Standort/Quelle:*) Autograph verschollen. Abschrift in A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 2, S. 80–85, Nr. 44
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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