23.01.2024

Briefe



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ID: 21018
Geschrieben am: Mittwoch 07.06.1893
 

Frankfurt a/M d. 7 Juni 93

Lieber Herr Doctor,

was dachten Sie wohl von mir, daß ich so lange Zeit vergehen ließ, ehe ich auf Ihren so lieben ausführlichen Brief antwortete, vor allem dafür dankte. Es lag aber an verschiedenen Vorkommnissen, erst waren wir 4 Wochen abwesend, wo ich zu gar keinem Schreiben kam, dann wollte ich mich gern erst genau |2| über meinen Enkel in Schneeberg informiren, ehe ich Ihnen schrieb, dieß verzögerte <dann>auch wieder meine Antwort. Ich habe nun endlich von dem Herrn Schulrath Henne, bei dem der Knabe ist, für den ich auf einen Platz bei Ihnen hoffen durfte, Nachricht erhalten, die aber meine Hoffnung sehr in Frage stellt. Lesen Sie, bitte den inliegenden Brief, und sagen Sie mir (Sie sehen, wie sehr ich an Ihre Freund-|3|schaft appellire) ob Sie nicht glauben, daß dem Jungen gerade ein Haupttalent fehlt, was zu dem Nöthigsten zu rechnen ist, das zur Mathematik! und steht in dem Briefe, daß er besonders befähigt zu Sprachen ist, zur Mathematik ihm aber die einfachste Grundlage fehlt. Da meint nun mein Schwiegersohn, er glaube, der Junge werde besser zum Kaufmann taugen. Was meinen Sie, |4| lieber Herr Doctor? Sind Sie auch dieser Meinung, so würde ich den jüngeren Bruder der freilich jetzt erst 10 Jahr alt ist, für das Fach vorbereiten lassen, in welchem Sie sich dann später seiner anzunehmen entschließen würden. Dann wäre es aber wohl besser, wir schickten ihn auf eine Realschule? Freilich, wie sollte es dann mit dem Freiwilligen Dienstjahr werden? ach, wie schwere Fragen sind das!? – |5| Ich weiß, Sie sind so enorm beschäftigt, und ich stelle Ihnen jetzt eine Zumuthung, die Ihnen Zeit raubt, aber, ich weiß Niemanden der mir rathen könnte, und kenne Ihre freundschaftliche Gesinnung.
Herzlich erfreut hat mich Ihrer theueren Frau Brief, und ich bitte Sie, ihr dies einstweilen zu sagen, bis ich dazu komme ihr selbst zu schreiben.
Ich adressiere dies nach Veldes – vielleicht |6| komme ich Ihnen dorthin weniger störend mit meinem Anliegen, als es nach Wien der Fall gewesen wäre.
Mit allen guten Wünschen für die liebe Frau und mit dankbarstem Herzen für alle Ihre Güte
Ihre
getreu ergeben
Clara Schumann.
Marie grüßt Sie Beide herzlich.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Fellinger, Richard (444)
  Empfangsort: Veldes
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
300f.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 11795-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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