23.01.2024

Briefe



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ID: 21024
Geschrieben am: Montag 31.10.1892
 

Frankfurt a/M d. 31 Oct. 92

Meine lieben Freunde,

wie lange bin ich Ihnen meinen Dank für Brief und Thelegramm zum 13t Sept. schuldig geblieben! und doch, glauben Sie mir gewiß, daß ich oft Ihrer Treue für mich dankbar gedenke. Am Geburtstag kommen mir aber so viele Theilnams-Beweise, daß ich lange brauche, bis ich mein Herz gegen Alle erleichtert habe. –
Gott sey Dank, kann |2| ich Ihnen sagen, daß ich mich den Sommer sehr gekräftigt habe, aber die alten Leiden, besonders das Dröhnen und Musiciren im Kopfe, sind geblieben, und manches Andre dabei, so daß ich oft in trübster Stimmung bin. Sie wissen es ja leider, wie Einem zu Muthe ist bei vielen körperlichen Leiden.
Eines tröstet mich aber, daß ich einige Stunden doch wieder geben kann, so bin ich eben doch nicht ganz unnütz auf der Welt.
|3| Meine Eugenie hat sich wieder vollständig erholt, und ist, wie Ihnen vielleicht Brahms erzählt hat, nach England übergesiedelt, wo sie sehr liebe Freunde hat, und ihr Talent viel mehr verwerthen kann, als hier. Bei den großen Verpflichtungen, die wir, wie Sie wissen, jetzt für meines Sohnes Familie haben, und meinen geringeren Einnahmen, entschlossen sich meine Töchter, selbständig ihre Pianoforte-Klassen zu haben. |4| Beide sind sie sehr zufrieden, nur ist es ein großer Schmerz für mich, daß
ich Eug. gehen lassen mußte. Man kann eben, wenn man so alt wird, seine Kinder nicht bis an’s Lebensende bei sich behalten. Ich bin immer eine besonders bevorzugte Mutter, in meiner Tochter Marie, die ein unschätzbarer Besitz für mich ist. Sie ist mein Schutzengel, ihre Liebe erhält mich, um ihretwillen bekämpfe ich oft die schweren Stunden der Muthlosigkeit. |5| Sie haben ja, leider, auch wieder viel gelitten diesen Sommer! geht es Ihnen jetzt besser? ich wünschte es Ihnen so von ganzem Herzen. Sie könnten doch so viel ungetrübter alle Freuden genießen, die Ihnen in Ihrem lieben Manne und den Söhnen erwachsen! und in der Kunst. So ist denn Ihr lieber Aeltester wieder nach Tübingen gekommen, wo ihm die theueren Großeltern begraben liegen! – |6| Merkwürdig wie das Schicksal die Menschen führt! – Könnte ich doch ein Mal mit Ihnen plaudern, liebste Frau Fellinger, es ist so ganz anders, als das Schreiben! Wir denken doch immer an Wien, vielleicht ist es mir doch noch einmal vergönnt, die lieben Freunde dort zu sehen! –
Nun, das Herzlichste, Ihnen, dem theueren Manne, den geliebten Kindern von
Ihrer getreuen Clara Schumann.
Marie grüßt sehr.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Fellinger, Familie (14972)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
290ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 11792-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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