23.01.2024

Briefe



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ID: 21762
Geschrieben am: Mittwoch 14.12.1892 bis: 15.12.1892
 

Frankfurt a/M. 14. 12. 92.
Liebe Mathilde,
Wie sehr stehe ich in Ihrer Schuld, hätte Ihnen so gern auf jeden Ihrer lieben Briefe gedankt, aber es kommt immer gar so viel an mich, trotz meines eigentlich stillen Lebens. Fürerst danke ich Ihnen, daß Sie mir so ausführlich über Ihre Schwägerin und Ihrem [sic] theuren Bruder schrieben; Sie wußten, indem Sie es thaten, mit welcher Teilnahme ich alles empfing. Ihr Herr Bruder schrieb mir selbst so rührenden Brief! Ach, wie schwer ist das Leben jetzt für ihn zu tragen.
Und trotz allem sind Sie gegangen, meine Schüler, Ilona und Borwick zu hören und sehr hat es mich interessirt, was Sie mir über Beide geschrieben. Unterdeß hat nun Borwick sein 2. Concert gestern gegeben und eben erhielt ich eine Depesche, sagend: „Glänzender Erfolg gestern“ – ein Brief wird wohl unterwegs sein. Ich schrieb ihm neulich, er möchte Ihnen Billete schicken. Ob er es gethan? – Ilona hat neulich auch hier gespielt und mit den brillanten Solostücken großen Erfolg gehabt. Für das Concert in fmoll von Chopin aber fehlt ihr die physische wie seelische Kraft; namentlich hatte sie es sehr überhastet und beeinträchtigte dadurch sehr die Wirkung. Ich möchte dem Borwick etwas von ihrem Temperamente wünschen. Jedenfalls ist sie aber doch eine außergewöhnliche Erscheinung. Der Borwick ein ernster, tüchtiger Künstler. Ich wünschte der Ilona, daß sie einen strengen Vater um sich hätte, während sie immer Lobeserhebungen hört. Ich war darin sehr glücklich, daß ich meinen Vater hatte.
Von uns kann ich Ihnen sagen, daß alles so gemächlich fortschreitet; auch meine Leiden verlassen mich nicht und drücken mich doch oft recht nieder. Spielen muß ich doch auch mit größter Vorsicht, da mein Arm und mein Rücken immer davon leiden. Sie sehen, es ist doch nicht so licht um mich, wie Sie glauben, wenn es ’mal eine kleine Zeit besser geht! –
Ich füge heute noch eigenhändig einige Worte bei – wir wurden gestern unterbrochen.
Sehr überrascht war ich in Ihrem Briefe zu lesen, daß Alois Schmitt hierher komme, daran ist aber, wie ich von Frau Claar hörte, kein Gedanke. Er sey viel zu alt, sie müßten eine junge Kraft haben. Einen tüchtig gesinnten Künstler hätten wir an ihm wohl gehabt! –
Recht sehr beklagen wir Cäcilien’s Mißgeschick, sie wissen es vielleicht gar nicht, daß sie vor 4 Wochen den Arm gebrochen hat. Zum Glück geht die Heilung gut von statten, aber die Geduldsprobe ist groß.
Nun, liebe Mathilde, schließe ich für heute. Morgen kommt Eugenie für 3 Wochen zu uns – gebe der Himmel, daß wir die Zeit ungetrübt verleben – mit so vielen Leiden hat man so wenig Muth!
Das Herzlichste Ihnen Beiden von uns Beiden.
Ihre getreue
Clara Schumann

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Wendt, Mathilde (1688)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 14
Briefwechsel Clara Schumanns mit Mathilde Wendt und Malwine Jungius sowie Gustav Wendt / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2011
ISBN: 978-3-86846-025-4
293ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 7363,18-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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