23.01.2024

Briefe



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ID: 21992
Geschrieben am: Samstag 23.08.1851
 

Düsseldorf d. 23 Aug 1851
Meine liebe Emilie,
längst schon hätte ich Deinen letzten lieben Brief beantwortet, wäre ich nicht seit 5 Wochen immer auf der Reise gewesen! erst waren wir in der französischen Schweiz, Lausanne, Genf, Chamonny, Vevey ect. und dann reisten wir nach Belgien, Antwerpen und Brüssel, wohin mein Mann zu einem Sängerconcours als Preisrichter eingeladen war. Vorgestern kehrten wir zurück, und heute komme ich zu Dir, meine liebe Emilie, aber wieder mit schwerem Herzen, denn leider muß ich Deinen mir zugedachten Besuch wieder ablehnen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich keinen Platz habe. Siehst Du, ich müßte Dir unser Wohnzimmer einräumen, will mir Dasselbe aber auch als Wohnzimmer einrechnen, wie sollte ich das nun machen? und |2| besuchst Du mich einmal, so will ich Dich ordentlich genießen, das kann ich aber so kurz vor meiner Entbindung nicht, denn Alles greift mich da an, zu Allem ist man da unlustig! musicieren kann ich da nicht, nicht viel Unterhaltung vertragen, überhaupt muß ich dann alle Anstrengung, selbst auch häusliche meiden, und hat man einen Gast, und nun gar eine so liebe, alte Freundin, so will man sie doch so ordentlich wie möglich versorgen und bewirthen! Alles Das kann ich so kurz vorher nicht, und wieder, bekümmert man sich nicht selbst um Alles, so ist’s eben nicht, wie es seyn soll! – Ich hoffe, meine theuere Emilie, Du giebst mir Dein Versprechen für nächstes Jahr, und an dieser Hoffnung muß <sich> mein Herz nun hangen! –
|3| Bei uns geht sonst Alles wohl! ich befinde mich ganz leidlich, nur schon ziemlich schwerfällig. Eine schöne Zeit haben wir jetzt auf unseren Reisen verlebt! das war eine wahre Herzens und Geistes-Stärkung, die Reise in die Schweiz! wie zauberisch ist Vevey, wie großartig das Chamonny-Thal – wie so herrlich ist’s doch auf der Welt! man glaubt sich ganz in andere Welten versetzt, sieht man diese grandiosen Gletscher, und wieder am Genfer See diese unbeschreibliche Lieblichkeit! Bogen ließen sich da schreiben, <S> und doch wären es nur schwache Umrisse von Dem, was wir Herrliches <G> gesehen! –
Antwerpen und Brüssel haben uns in anderer Weise wieder sehr interressiert! in Brüssel die herrliche Gemälde-Ausstellung, in Antwerpen die Rubens, der zoologische Garten, der |4| den Pariser bei weitem übertrifft, dann der Hafen und so Vieles noch! –
Jetzt sind wir nun endlich wieder hier in Ruhe und in unserer alten Thätigkeit, die Einem recht wohl wieder thut. –
Daß Hiller von Cöln plötzlich fort geht und zwar nach Paris an die italienische Oper als Dirigent, wirst Du wohl gelesen haben! er läßt dadurch das Comitee wegen des Conservatoriums in großer Verlegenheit – Niemand weiß, wie das werden wird. Das Pecuniäre hat ihn jedenfalls dazu veranlaßt (wohl auch die Eitelkeit), denn Du weißt, seine Frau braucht viel, und nun seit einem Jahre das Kind, sowie ein zweites Kind, das er jetzt adoptirt hat (man sagt, es sey ein uneheliches Kind von ihm) – Alles das kostet Geld! –
Ich muß Dir, meine liebe Mila, Adieu sagen, denn Briefe habe ich nun solche Menge zu schreiben, daß ich keinen Anfang weiß! Grüße Elise, sowie Deine liebe Mutter und Lina 1 000 mal und behalte lieb
Deine getreue Alte
Clara.
Bitte, schreibe mir recht bald wieder.
[Umschlag]
Ihro Wohlgeboren
Fräulein Emilie List.
Abzugeben bei dem Herrn
Gustav v. Pacher
in
Wien.
Schönauer Niederlage.
Franco.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
270ff.

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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