23.01.2024

Briefe



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ID: 21994
Geschrieben am: Dienstag 23.08.1853
 

Düsseldorf d. 23 Aug 1853
Liebe Emilie,
lange ließ ich Dich wieder auf Antwort warten, doch, wahrhaftig, ich weiß oft nicht, wie ich zu Allem die Zeit hernehmen soll! mein Mann, meine Kinder, meine Schüler, meine Freunde, Allen soll ich leben, und doch hat der Tag nur 24 Stunden! gedacht habe ich Deiner wohl oft, das wirst Du glauben, doch mehr konnte ich nicht. Nachdem ich Deinen Brief erhalten, hatten wir die vielen Vorbereitungen zu unserem Musikfeste, dann das Fest selbst, was viel mit sich brachte, allerlei Fremdenbesuch, dann nach dem Feste bekam ich endlich nach drei Jahren einmal wieder Lust zum componieren, componierte so Manches, dann kamen einige neue Schüler, meine Kinder unterrichte ich auch selbst, und zuletzt hatte ich noch eine ganz besondere Ueberraschung – Henriette besuchte mich 8 Tage. Du kannst Dir denken, wie sehr ich überrascht war! ich hatte sie 13 Jahr nicht gesehen. Sie lebt |2| seit 5 Jahren in Hull bei zwei sehr reichen Eheleuten, die keine Kinder aber ein herrliches Landhaus bei Hull haben, wo sie wie Kind vom Hause geliebt wird. In Hull hat sie eine Wohnung, wo sie sich den Tag über aufhält, und Unterricht giebt; alle ihre Schülerinnen kommen zu ihr, und scheint sie überhaupt große Achtung zu genießen, wie sie sich denn musikalisch außerordentlich vervollkommnet hat, und ihr Character mir sehr ehrenwerth erscheint! sie hat viel durchlebt, und daran, wie sie es getragen, eine große Seelenstärke gezeigt, wie auch einen recht ächten noblen Sinn. Sie hat sich ein hübsches Capital erworben, und denkt in 6–8 Jahren so viel zu haben, daß sie leben kann wo sie will. Sie ist jetzt wieder in Hull! –
Von unserem herrlichen Musikfeste hast Du jedenfalls gelesen, doch das was in der Augsburger Zeitung stand, |3| war recht dumm! der Dr Müller ist ein Freund Hiller’s, und da Letzterer bei diesem Feste meinem Manne, dessen Symphonie die größte Anerkennung fand, als Componist natürlich nachstand, so wußte Müller gar nicht wie er sich drehen und wenden sollte – er getraute sich nicht einmal zu erwähnen, was doch recht und billig gewesen wäre, daß Robert unter allgemeinem Enthusiasmus mit dem Lorbeer bekränzt wurde. Nun, sie mögen laufen, all das neidische Gelichter, die Hauptsache ist, daß Robert frisch und kräftig fort schafft – er lebt in seinen Werken und wird lange fortleben, wenn alle die neidischen Seelen längst vergessen sind. Es geht ja am Ende allen bedeutenden Menschen mehr oder weniger so! –
Das Fest war aber wirklich eine Reise werth, denn nie habe ich so ein großartiges Fest erlebt – eine wahrhaft andachtsvolle Stimmung herrschte |4| während der ganzen drei Tage, und der Enthusiasmus steigerte sich immer mehr und mehr. Die Novello sang reizend mit einer Stimme wie vor 14 Jahren so schön, und Joachim spielte, daß es ein wahres Labsal war! Oh welch ein Spieler ist der! da mögen sich nur die anderen Alle verstecken!
Wir erwarten ihn jetzt wieder hier, wo er kömmt, uns einige Tage zu besuchen, und recht mit mir zu musicieren.
Seit 4 Wochen treibe ich wieder einmal emsig englisch bei einer Engländerin, und mache viel Fortschritte. So Gott will, gehen wir im Frühjahr nach England und Holland. Im November wollen wir auch wieder einmal Leipzig besuchen.
Es hat mich recht betrübt von Dir zu hören, daß Elise noch immer nicht ganz gekräfftigt ist! was ist es nur? hat sie nicht einen geheimen Kummer? der Tod ihres Mannes war |5| ihr gewiß hart, aber sie liebte ihn doch nicht mit der glühenden Liebe, wo das Herz bricht, muß es solchen Verlust erleiden! und selbst dann, hat Gott Einem Kinder gegeben, so hat man doch die heilige Pflicht sich ihnen zu erhalten, und findet in ihnen einigermaßen noch eine Fessel an’s Leben! Vielleicht weißt Du es nicht einmal, welches ihr Kummer, denn immer war sie ja sehr verschlossen! – Grüße sie recht herzlich! wie wünschte ich ihr alles Gute – sie verdiente es im vollsten Maaße. was macht Lina? Du schriebst mir nichts von ihrer Kunst? seyd Ihr noch in Schönau? und bleibt Ihr im Winter, oder geht Ihr nach München? Ich habe jetzt eine Schülerin, welche hierher gekommen um bei mir zu studieren, Frl. Then aus Augsburg, ihr Vater ist Klaviermacher! kennst Du die <Leu> Familie? sie scheinen mir sehr achtungswerthe und wohlhabende Leute! die Tochter ist ein liebes talentvolles Mädchen! –
Mein geliebter Mann ist recht wohl, arbeitet fleißig, und erfüllt wie immer mein ganzes Daseyn! meine |6| Liebe und Bewunderung für ihn steigert sich nur immer mehr, und kann nie einen Endpunkt erreichen. Gott erhalte mir dieß höchste aller Erdenglücke – einen solchen Mann besitzen nicht viel Frauen – es klänge vielleicht übermüthig, wollt ich sagen – Keine! nein, im Herzen bin ich gewiß dehmüthig, und <geniße> genieße mein Glück nicht mit einer Zuversicht, als müßte es so sein! ich weiß ja, daß es mir Gott in jeder Minute entreißen kann! aber mein Dank steigt täglich zu Ihm!
Meine Kinder sind auch recht wohl, und schreiten tüchtig vorwärts, und so hätte ich Dir nur das Gute mitzutheilen gehabt, was, ich weiß es Dich, meine Mila herzlich freut, und so lebe Du und die Deinen denn wohl! grüße Deine liebe Mutter, Elise, Lina, Deine Schwägerin, und, könnte man sich selbst umarmen, so müßtest Du es jetzt in meinem Namen thuen! –
In treuer Liebe
Deine
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Schönau
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
285-288

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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