23.01.2024

Briefe



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ID: 22430
Geschrieben am: Mittwoch 01.11.1854
 

Verehrte Frau,
Sie erwarteten wohl häufiger Briefe von mir?
Wie gern schriebe ich öfter; mir ist der Stoff nicht ausgegangen, es ist noch gar keiner da, als der eine, daß ich nicht zufrieden damit bin, daß wir schon wieder auseinander gegangen sind, eigentlich, daß wir noch immer nicht zusammen gekommen sind. Es scheint sich hier Alles verschworen zu haben, grade nur so weit zu gehen, daß ich noch nicht darüber schreiben kann!
|2| Hrn. Grädener habe ich kennen lernen, aber nur so weit, daß ich nichts schreiben kann. Bei Avé waren wir zusammen. Ich spielte den ganzen Abend, wir waren recht munter u. angeregt bis 1 Uhr. Gr. hat eine Claviersonate im Mscpt, ich soll sie kennen lernen, auch sonst mehr von ihm.
Mein Lehrer hatte mich ganz ängstlich vor beiden gemacht, ich wunderte mich also sehr, daß sie die Sachen Ihres Mannes, Schuberts u. s. w. sehr kennen.
Besonders Gr. war sehr warm gegen mich. Ich halte Avé für furchtbar ängstlich im Urtheilen, er traut sich nicht ein Wort des unbedingten Lobes zu sagen.
|3| Bis jetzt wartete ich vergebens auf eine passable Vorstellung im Theater, <Morge> der morgige Abend ist der erste, wo ich mich versagt habe (bei Avé) „Joseph“ wird angesetzt.
Gestern war ich im Theater u. ärgerte mich über Benedix „alte Jungfer“. Beim Nachhausegehn höre ich vom Thurm blasen u. freue mich. Als ich genauer zuhöre, blasen von 3 verschiedenen Thürmen einzelne Trompeter ihren Choral, der eine in D, in Es, in E ab. So werde ich mit Gewalt immer verdrießlicher u. müder gemacht. Ach, noch 8 Tage muß ich auf Sie warten!
|4| Joachim-Grimm habe ich die schönen Nachrichten aus Endenich mitgetheilt. Es wäre doch unverzeihlich vom Arzt, wenn <d>er den Brief Ihres Mannes 14 Tage hätte liegen lassen! Wahrscheinlich hat doch Ihr Mann selbst den Brief verzögert, vielleicht der Beilage wegen. Da haben Sie am Ende meinetwegen den Brief so lange entbehren müssen.
Bekomme ich wohl einen Brief vor Ihrer Ankunft in Hbg.? Mindestens schreiben Sie mir doch diese genau, nicht wahr? Wie sehnlich erwarte ich jede Stunde, wo der Briefbote |5| kommen kann, bringt er mir noch etwas von Ihnen?
Hr. Avé wird Ihnen wahrscheinlich noch nach Frankfurt schreiben.
Das philh. Concert hier wird vielleicht schon ein Tag früher angesetzt, da wird er denn wünschen, daß Sie den 8ten schon hier seien. Desto besser, aber noch lange nicht gut genug.
Grädener geht es so traurig mit den Verlegern wie Grimm, trauriger, denn er hat mehr, viel mehr geschrieben.
3 Streichquartette, Clavierconcert, dito Sonate, Lieder, Sinfonie |6| u. ich glaube, eine fertige Oper hat er liegen.
Härtels haben ihm in letzterer Zeit Alles zurückgeschickt!
Wenn Sie mir schreiben sollten, geliebteste Freundinn, schreiben Sie von sich, wie Sie sich befinden; Sind Sie denn noch ziemlich wohl, nicht gar zu sehr angegriffen? Hätten Sie das Engagement in Bremen annehmen müssen?
Nach Weihnachten hoffe ich zu Gott, daß sich Alles mehr zum Besten wendet, sonst müssen Sie in Ddf. bleiben, |7| ich glaube<n>, Sie werden es <schon> der Gesundheit wegen schon müssen.
Leben Sie recht wohl u. denken Sie, daß 8 Tage eine lange Zeit ist! Wenn Sie können, schreiben Sie inzwischen einmal
Ihrem
Sie hochverehrenden
Johannes Brahms.
Frl. Schönerstedt meine herzl. Grüße.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
221-224

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7, 13
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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