23.01.2024

Briefe



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ID: 22666
Geschrieben am: Donnerstag 19.03.1874
 

19ter März 74.
Liebe Clara,
Es wird mir unnennbar schwer auch nur mit wenig Worten Dir auszusprechen wie innig theilnehmend wie ängstlich besorgt ich Deiner gedenke. Seit ich Felix das letztemal sah – mit welcher Wehmuth denke ich stets an Dich. Viel zu tief empfinde ich Deine Sorge u. Deinen Schmerz als daß ich ihm Worte zu geben versuchen mochte. Auch eignen Schmerz bin ich durchaus gewohnt, ganz für mich u. in mich hinein zu erleben.
Für Dich empfinde ich weit inniger, weit liebevoller; kein Gedanke geht zu Dir der Dich nicht ganz umfaßt u. alle Deine Sorgen denkt.
Aber ich ┌kann ┐ nur still abwarten wie weit Du die neue Prüfung denn tragen sollst. Gebe Gott es sei Dir |2| ein neuer größter Schmerz nicht beschieden, für ein Menschenleben hast Du genug getragen.
Ich kann nicht versuchen Dich trösten zu wollen; mit Allem was ich sagen könnte wirst Du längst selbst versuchen Dich aufzurichten. Möge Dir dies wie sonst gelingen – was Dir auch beschieden sei. Von wie Vielen soll ich Dir das Herzlichste sagen. Laß Dir diese ernste Liebe auch etwas Tröstliches sein – ich liebe Dich mehr als mich u. irgend wen o. was auf der Welt. Aber freilich Deine Schmerzen fühlt man nur mit, man nimmt Dir keinen kleinsten Theil ab!
Von München brauche ich Dir kaum zu erzählen; es war wohl Alles so wie Du es im Geist mit erlebt haben magst. Die Aufführungen sehr gut, das Publikum sehr freundlich |3| u. wir, außer den Musikern namentlich Heyse u. Bernays viel u. fröhlich beisammen. Auch Wüllner u. Lachner immer dabei. Daß Du (u. auch ich) nicht an der Hochschule sind ist freilich ein besondres Glück.
Die Geschichten sind wirklich nicht erquicklich u. da dies leider seine ernsthaften Gründe hat so ist auch die Aussicht nicht erfreulich. Und nun die „verlogene“ Christus-Aufführung mit einem fremden Direktor, Hochschule u. Stockhausen! Darüber könntest Du gelegentlich Marie diktiren.
Wir haben in der Charwoche leider eine Unmasse Musik. Außer Sing-Akademie u. Männergesang: in der Oper den Messias u. noch ein Concert u. ich den Salomo.
Ich kann immer den Gedanken an „zu viel Musik“ nicht vertragen!
Viel Leute reisen nach Italien; von Dir bekannten z. B. Billroth, Hanslick Dr. Ebner etc. Fr. Ebner geht es sehr gut u. der Kleinen (die horrend groß ist) auch gut.
|4| Nun sage die herzlichsten Grüße den Deinen u. laß mich hören so bald Du kannst.
Aufs innigste denke ich Dein.
Dein
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1275ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.Nachl. Schumann, K. 7,152
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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