23.01.2024

Briefe



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ID: 22669
Geschrieben am: Samstag 21.11.1874
 

Berlin, den 21. November 1874.
Lieber Johannes,
es kam mir die vergangenen Tage so vielerlei Häusliches in die Quere, daß ich nicht zum Schreiben an Dich kam – nun ist mir Simrock mit dem Herakles-Bericht zuvorgekommen und hat Dir gewiß so ausführlich geschrieben, daß mir nichts mehr bleibt, als im allgemeinen zu sagen, daß es eine herrliche Aufführung war – ein ungetrübter Genuß, wie er einem selten zuteil wird, nur wenn ’mal einer wie Du oder Joachim am Pulte stehen. Der Chor, das Streichquartett im Verein, das war entzückend. An dem Werke selbst habe ich auch große Freude gehabt – einige Chöre sind doch wunderbar schön, und die einigen dramatischen Szenen! Für die Händelschen Arien schwärme ich nicht sehr, und nur zwei von denen aus Herakles waren mir Genuß zu hören. Es ist aber gewiß zu den großartigsten Werken Händels zu zählen – meinst Du das nicht auch? Manche der Stücke kommen mir so tief ernst vor, fast wie Bach. Joachim hat eine schöne Genugtuung für seine Ausdauer genossen; er hat doch immer viel zu kämpfen. Denke Dir, daß ihm einige gute Bläser (die nebenbei Lehrer an der Hochschule sind) abgeschlagen wurden zu dieser Aufführung, auch einige Streichinstrumente aus der Kapelle, die seine Schüler gewesen!
. . . . Wie sehr interessant sind mir Deine Programme! Könnte ich ’mal Dein Konzert hören – es ist so anders, als wenn man es selbst spielt, und hören möchte ich es doch nie von einem andern als von Dir. Die Messe von Beethoven möchte ich auch hören können, es ist aber doch das Wien gar zu weit.
Das ist aber ja ein freundlicher Blick auf Weihnachten, den Du uns eröffnest! Lieber Johannes, ich brauche Dir wohl nicht erst zu versichern, wie es mich und die Kinder freuen würde! Wir haben jetzt auch ein viel netteres Fremdenstübchen Dir zu bieten, da ich mein Schlafzimmer oben hinauf verlegt habe, und dafür unten das Zimmer frei bekommen habe. Ich hoffe, Du schlägst mir das nicht ab, aber so gar kurz wie vorm Jahr darfst Du nicht bleiben, ein paar Tage mußt Du uns schon schenken. Sage mir bald wieder davon – da gibt es denn auch ’mal wieder etwas, worauf ich mich freuen kann. Ach, es umgibt mich soviel Trauriges. Die arme Elise Jungé ist nun auch tot – die treue Seele. Ich wollte diese Tage ein paar Tage zur Leser, nun ist es gerade so kalt geworden, was für meinen Arm so schlecht ist – ich muß einige mildere Tage wieder abwarten.
Für heute denn Lebewohl.
Bleibe gut Deiner
Clara.
Schulze ist eben zum Königlichen Professor ernannt in Anerkennung seiner Verdienste. Das hat er wohl verdient, und freut mich für ihn sehr. Laß bald wieder von Dir hören.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1291ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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