23.01.2024

Briefe



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ID: 22918
Geschrieben am: Freitag 23.12.1892
 

Liebe Clara.
Es ist lange her daß ich bei Dir die letzte Weihnacht feierte – aber so schön u. lieb war sie mir auch nicht wieder u. das Beste wird auch diesmal sein, wenn ich zurück denke, wie an jenem Abend der Baum strahlend leuchtete u. alle Augen, junge u alte dazu. Möge Dir das Fest – wie damals Eines sein!
Du wirst Dich wundern: das „Schlußheft“ liegt immer noch bei mir. Letzter Zeit sagte ich mir wohl, Härtels möchten zum Fest genug zu thun haben, eigentlich u. ehrlich aber liegen sie nur, weil ich überhaupt so schwer zum Stechen abschicke.
|2| Bei meinen Sachen hat das seine guten Gründe. Hier nun denke ich an Dich, ob es Dir auch eine richtige Freude, ob Du etwa blos zugegeben – ich wünschte, auch andre Deiner Freunde hätten mit- u. zugeredet. Die Variationen sind doch ein merkwürdiges u. unwiederstehlich bezauberndes Werk! Neulich kam ich von einer langen Gesammtprobe nach Haus u. ganz wie selbstverständlich, ohne einen besonderen Gedanken saß ich wieder am Clavier u. spielte sie mir ganz inniglich mit m. 2 Händen vor! Es ist als ob man an einem schönen sanften Frühlingstag spazierte, unter Erlen, Birken u. blühenden Bäumen, ein sanft rieselndes Wasser zur Seite.
|3| Man wird nicht satt zu genießen die ruhige, nicht warm nicht kalte Luft, das sanfte Blau, das milde Grün, man denkt nicht, daß es auch Aufregung giebt u. wünscht keine dunklen Wälder, <kl> schroffen Felsen u. Wasserfälle in die so schöne Einförmigkeit.
Wenn man nun für die Musik extra Philister-Augen hätte, so sähe man vielleicht mit Bedenken, wie das Tema 4mal im selben Ton schließt, nennte die süßen, weichen Harmonien gar süßlich, weichlich u. fürchtete sie in den Var. oft wiederholt zu hören. Alles vergebens! Man taucht unter u. |4| genießt die holde Musik wie die zarte erquickende Frühlingsluft u. Landschaft.
Herrgott, wenn aber jeder Briefschreiber Heute Dich so lange aufhalten will, wo bleibt da die Arbeit am Christbaum! Gehe jetzt fröhlich daran u. denke auch einmal freundlich
Deines
von Herzen grüßenden
Johannes

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2087f.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.Nachl. Schumann, K. 7,268
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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