23.01.2024

Briefe



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ID: 23080
Geschrieben am: Montag 20.02.1865
 

Meine liebste Clara,
Durch Deinen lieben herzlichen Brief fühle ich Deine Nähe so, wie man nur wünschen kann die Nähe seiner Freunde zu fühlen. Er kam mir erst hierher nach, denn ich war kaum, oder nicht 8 Tage in Hamburg. Ich konnte nichts weiter thun u. nützen u. am letzten Nachmittag merkte ich leider nur zu sehr, daß an kein Ordnen oder Sorgen zu denken sei – so leidenschaftlich wird Elise, wenn auf den Vater natürlich dann die Rede kommt.
Avé machte die Scene mit u. sah nur zu tief u. deutlich in das traurige Zerwürfniß das die Zeit allmählig gebildet; er stand wacker zur Seite |2| u. mußte auch vor Allem rathen daß ich abreise, da nach dem einen Anstoß ich <es> doch für die Schwester nicht mehr mit meiner Gegenwart trösten konnte.
Die Zeit ändert zum Schlimmen u. Guten Alles, nicht ändert sondern bildet u. entwickelt. Und so werde ich auch die gute u. liebe Mutter, nach dem traurigen Jahr, erst später immer mehr verlieren u. entbehren. Ich mag nicht darüber schreiben, wie viel Tröstliches eigentlich unser Verlust hatte, wie er ein Verhältniß endete daß [sic] nur immer trüber hätte werden können.
Und dafür kann ich doch auch nur dem Himmel danken, daß er die Mutter so alt (76 Jahr) hat werden lassen u. so sanft abscheiden.
Elise wird mit Cossel’s (m. alten Clavierlehrer) zusammenwohnen, wo auch Frl. Garbe wohnt. Sie kann natürlich alles sich einrichten wie sie will, sich Zeit lassen u. |3| Alles. Fritz wohnt allein, auch Vater, der hoffentlich jetzt einem recht ruhigen schönen Alter entgegensieht.
Wie ist es denn eigentlich mit Deinem Kommen? Die Hand macht mir leider immer größere Sorge, doch wenn’s nur so ungefähr geht u. nur etwa ein schönes „Schlummerlied“ zuläßt, so solltest Du hier Concerte geben.
Dann geben wir sie zusammen! Ich bin versichert, es ist jetzt günstig hier u. Du weißt doch, daß Publikus am zufriedensten ist, wenn Du <etwa> die leichtesten bekannten Sachen spielst. Gewiß! Und ich sorge für Sing-Sang u. will auch für übriges sorgen, mir scheint das sehr praktisch.
Ich werde schon genug ausgezankt daß ich nicht spiele, ich könnte mich ganz besonders erlustigen, Deine Programme auszufüllen.
So bitte ich sehr, mache keine voreiligen Streiche u. sage die Concerte hier nicht ab!!!
|4| Ich habe mich in Hbg. ausgescholten meiner Unverschämtheit wegen! Als ich den Wackernagel den Lessing suchte u. hörte daß Du Dich mit all’ dem Zeug herumgeschleppt hast!
Rieter wird vermuthlich einige Schubert’sche Sachen verlegen so z. B. 2 Messen etc. Wenn nur hier mehr Verlaß auf die Menschen wäre z. B. Spina, von denen mancherlei abhängt.
Ueberhaupt, es ist so, das Leben hier, das ganze Wien wird einem immer gemühtlicher aber die Menschen u. gar die Künstler immer widerlicher, die Art wie sie sich zum Publikum u. zur Kritik stellen, vor ihm spielen u. von ihm abhängen nimmt Einem alle Lust als College den Schwindel mitzumachen.
Ich traue mich gar nicht zu Frau Wagner des Logies wegen zu gehen. Beruhige mich bald, daß Du kommst u. daß Du bald kommst.
Grüße Deinen Sekretair, Frl. Leser etc etc
Dein treuer
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Düsseldorf
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
965-968

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7, 138
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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